Montag, 3. Dezember 2007

Die ehrlichste Werbung der Welt

Seit kurzem gibt es in der deutschen Werbung die Unerhörtheit eines Spots zu bestaunen, der nicht etwa irgendwelche Vorzüge der beworbenen Firma preist, sondern diese als abstoßende Juxbude darstellt.

In dem Spot tun seltsame, zombieartige Lebewesen, die entfernt an den Homo sapiens erinnern, merkwürdige, unzusammenhängende Dinge, wobei sie unverständliche Laute ausstoßen. Die Gesichter dieser seltsamen Lebewesen zeigen jene tumbe Entrücktheit, wie sie nur fortgeschrittene Debilität oder religiöse Ekstase hervorzubringen vermag. Im Hintergrund befindet sich Elektroware, und eingerahmt wird das Ganze von dem Schriftzug des größten deutschen Elektromarkts, so daß man immerhin begreift, daß hier für dieses Geschäft geworben wird.

Was die Botschaft ist, bleibt indessen ein Mysterium; man hört allerdings hin und wieder eine Stimme irgendetwas von "unseren härtesten Kunden" raunen.

Was, lieber Leser, will uns also diese Werbung sagen?

Kommt her, ihr Idioten, Zombies, Säufer und Debile; hier findet ihr alles, was eure Gehirne auf die Größe einer Nudel schrumpfen läßt?

Oder: Lieber Kunde, mach dir nichts draus, wenn du doof bist; auch wir sind ein bißchen gaga und finden dich geil?

Oder: Der doofe Kunde ist ein guter Kunde, denn er kauft, kauft, kauft.

Und der doofe Betrachter dieser doofen Werbung lacht beifällig, weil er sich an die Talkshows und Comedies des Fernsehens erinnert und weiß, daß er bei diesem Markt als das begriffen wird, was er ist.

Dienstag, 20. November 2007

Wir Woyzecks

Gehen Sie gern ins Theater?

Wenn ja, machen Sie einen großen Bogen um Befragungen. Vor allem, wenn man sich nach "Lebensgefühl, Erfahrungen, Meinung zur Familie, Politik und Gesellschaft" erkundigt.

Sonst kann es Ihnen nämlich passieren, daß Sie Ihren gutgläubig geäußerten Ansichten nach einem halben Jahr auf der Bühne Ihres Theaters wiederbegegnen. Und zwar als dumpfes "Volkes Stimme" (SZ vom 13.11.2007) in einer Bearbeitung des Büchnerschen "Woyzeck", angesiedelt im Kleinbürgermilieu und garniert mit allem, was die Klischeekiste an typischen Requisiten des Kleinbürgers bereithält: Schrebergarten, Rotkäppchensekt, Jägerzaun, Picknickdecken, Putzeimer usw. usw.

So geschehen im Staatsschauspiel Dresden, wo der Dramaturg Stefan Schnabel und der Regisseur Volker Lösch die Ergebnisse einer Zuschauerbefragung mit Büchners Theaterstück zu einer Collage verwoben haben, die offenbar zeigen soll, welches rechtsradikale Potential auch im harmlosen bürgerlichen Theaterbesucher steckt. Dabei ist übrigens auch interessant, daß es offenbar nicht als Diskriminierung gilt, wenn der Kleinbürger und sein Geschmack an den Pranger gestellt werden.

Daß die Sätze der Theaterbesucher "nahe ... an den Pamphleten der NPD" seien, stellt Alex Rühle in seinem Bericht in der SZ fest und wundert sich, daß nirgendwo "mündige Bürger" mit gutem Demokratiegefühl zu finden seien. Schuld daran ist für ihn aber nicht etwa die verfehlte Wirtschaftspolitik in den neuen Bundesländern. Nein, schuld sind die Bürger schon selbst an ihrer Unmündigkeit. Verdammt, man hat in einer Demokratie nunmal nicht unzufrieden zu sein! Dann ist man nämlich populistisch, kapitalmusfeindlich und anfällig für die "Kultur (!) der Fremd- und Selbstzerstörung", wie sie von den Skinheads und von Woyzeck praktiziert werden.

Also, lieber Theaterbesucher: Wenn Sie unzufrieden mit "denen da oben" sind, reißen Sie sich zusammen und fühlen sich gefälligst als freier demokratischer Bürger! Andernfalls sind Sie "dumpf" und gewaltbereit und werden demnächst Ihre Gattin erwürgen. Und sehen Sie zu, daß Sie weder Rotkäppchensekt trinken noch einen Jägerzaun im Garten haben.

Donnerstag, 15. November 2007

Goldvroni

Sind Sie auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk? Also wenn es mal ein bißchen was hermachen soll, entscheiden Sie sich doch für "Veronicas Silber" - nämlich dasTafelsilber "Altspaten" der Firma Robbe&Berking.

Für dieses Tafelsilber wirbt besagte Firma mit dem Schwarzweißfoto eines pausbäckigen Mädchens mit verdrossenem Schmollmund, leeren runden Augen und Sonntagsschleife in den zum Dutt gekämmten Haaren. Neben dem Kinderfoto, das unverkennbar die beliebteste deutsche Filmaktrice V.F. zeigt, droht majestätisch ein Silberlöffel mit den in kitschiger Großbürgernoblesse gestalteten Initialen V.F.

"Ist die kleine Veronica nicht entzückend", ruft diese Anzeige allen Bürgern zu, die auf Tischkultur und gehobene TV-Unterhaltung Wert legen. "Schon im Elternhaus hat sie als goldige kleine Prinzessin mit unseren Silberlöffeln gespeist, und auch heute setzt sie auf Tradition, wahre Werte und unser Tafelsilber."

Mancher macht eben alles zu Gold; den Beruf, die Karriere, die Schwangerschaft, das Privatleben, das Tafelsilber und die herzigen Kinderfotos aus einer behüteten aber unglücklichen Kindheit.

Dienstag, 13. November 2007

Schwimmen und Sauerkraut

Heute mittag war ich im Schwimmbad.
Als ich ins Wasser steige, steht da bei der Treppe ein alter, sehr alter Herr, den ich auf ungefähr hundert schätze.
Er schaut mich fröhlich an und sagt: "Sie haben doch die ideale Figur."
Ich: "Hm."
Er: "Ich bin ja auch schlank, also ich nehme einfach nicht zu, da wundern sich alle immer."
Ich: "Ach."
Er: "Man muß halt nur das Richtige essen. Bei einer beschleunigten Verdauung regelt sich vieles von selber."
"Oder bei Bewegung", sage ich, sehe, wie er weiterreden will und schwimme los.
Nach anderthalb Runden ist er wieder neben mir.
"Weil Sie schlank sind, schwimmen Sie auch schneller", sagt er.
"Meinen Sie?" murmel ich und schwimme wieder los, diesmal noch etwas schneller und auf einer anderen Bahn.

Und während ich vor mich hinschwimme, fällt mir ein, daß genau dieser gesundheitsbewußte Senior vor einer Woche neben mir an den Massagedüsen stand und mir detailliert erzählte, daß er so gesund und so schlank sei, weil er jeden Tag Sauerkraut esse. Das koche er auch selbst. Jawohl, jeden Tag. Und deshalb sei er so gesund. Und so schlank. Nein, er werde einfach nicht dick. Da wunderten sich immer alle ... Jaja, das Sauerkraut...

Ich sehe, wie Sir Sauerkraut sich zielsicher einem Geschwader von drei Damen nähert, die schon seit zwanzig Minuten nebeneinander durchs Becken ziehen und dabei über all das reden, was Frauen an Dringendem zu besprechen haben. Ich höre die Worte "Sauerkraut", "jeden Tag", "schlank", und wie eine der Damen mit freundlichem Interesse fragt: "Und das kochen Sie sich immer selbst?"
Es entspinnt sich ein angeregtes Gespräch über Sauerkraut und Verdauung, und dann sehe ich den alten Herrn beschwingt dem Wasser entsteigen. Guter Tag das. Was für die Gesundheit getan und die frohe Botschaft vom Sauerkraut verkündet.

Und ich stelle mir vor, wie er in seiner Küche im Sauerkraut rührt und zufrieden vor sich hinmurmelt: "Jajaja, neeneenee."

Mittwoch, 7. November 2007

Mammamia

"Mama! Mama? Maamaa! Mama, hihihi, Mama..."

So beginnt ein Werbespot, der seit einiger Zeit im Radio zu hören ist. Und an die "Mama"-rufenden Kinderstimmen wird ganz selbstverständlich das Resumee gehängt, daß Kinder "Familie brauchen".

Wirklich? Brauchen sie das? Brauchen sie nicht viel eher Krippen, Kitas, "professionelle" Betreuung und Förderung rund um die Uhr? Wer wirbt denn hier so hausbacken hinterwälderlerisch für die Familie?

Nein, es sind nicht Bonbon- oder Windelhersteller. Es ist ein Spendenaufruf der SOS-Kinderdörfer.

Ich frage mich, was die SOS-Kinderdorfmütter machen, wenn sie sich selbst verwirklichen wollen. Gibt's denn keine Krippen für die Kinderdorf-Kinder? Keine Kitas etc.?

Frau von der Leyen, hier klafft eine skandalöse Lücke in Ihrem Konzept der Familienvernichtung. Und das, wie man im Englischen so unnachahmlich cool formuliert, cannot be tolerated. Ich fordere Sie hiermit auf, umgehend Krippenplätze und Kitas für Kinderdörfer zu schaffen und die SOS-Mütter dem freien Arbeitsmarkt und der beruflichen Selbstverwirklichung zuzuführen.

Sonntag, 4. November 2007

Eheszenen, I

Im Wartezimmer einer physiotherapeutischen Praxis. Ein älterer Herr, der zunächst draußen an den Stufen zum Eingang gestanden hat, beschließt der kühlen Herbstluft wegen drinnen weiter zu warten. Es ist offensichtlich, er will nicht selbst behandelt werden, sondern jemanden abholen.
Schließlich wird die Tür eines Behandlungszimmers geöffnet, es erscheint eine reizende ältere Dame, auf zwei Krücken gestützt. Sie lächelt den Herrn hinreißend charmant an.
"Ach, du bist schon da? Und ich wollte gerade draußen ein bißchen spazierengehen."
Der Herr verzieht keine Miene. Er murmelt: "Kannst du gerne tun."
Die Dame sagt nichts, sondern zieht ihren Mantel an.
"Bist du fertig?" sagt der Herr.
Sie nickt. Er hilft ihr beim Rausgehen.
"Ach, es geht schon", sagt sie, und er hält ihr die Tür auf.

Netter und harmloser Dialog? Hm.
Ich höre den folgenden Subtext.
"Du bist schon da? Und ich wollte gerade... Erstaunlich, daß du ausnahmsweise mal pünktlich bist. Bist du ja eigentlich nie, deswegen war ich auch schon voll darauf eingestellt, draußen noch mindestens eine Viertelstunde herumspazieren zu müssen."
"Kannst du gern tun. Du bist ja sowieso nie dankbar, wenn ich dir helfe. Humpel halt draußen rum, solange du willst, wenn's Dir Spaß macht. Ich weiß wirklich nicht, warum ich dich überhaupt abhole, wenn du sowieso noch herumspazieren möchtest. Klar, hab schon verstanden, daß du mir meine Unpünktlichkeit reinreiben willst. Aber du könntest wirklich auch mal ein bißchen dankbar sein, anstatt hier die charmante Dame zu spielen und mir mit deinem ach so liebenswürdigen Lächeln mal wieder eine Ohrfeige zu verpassen."
"Ach, es geht schon. Ich brauche deine Hilfe eigentlich gar nicht, du muffeliger Kerl. Das heißt, leider doch, zumindest bei der Treppe. Schrecklich, wenn man auf Hilfe angewiesen ist. Aber ich werde ihm nicht den Gefallen tun, Schwäche zu zeigen. Darauf wartet er ja nur."

Wird in losen Folgen fortgesetzt

Montag, 22. Oktober 2007

Wie kultiviert sind Kulturkreise?

Was ist ein Kulturkreis? Ein loser Zusammenschluß von Leuten, die sich für "Kultur"interessieren und junge Musiker und Künstler fördern?

Falsch, lieber Leser. Kunst, Literatur und Musik sind für Menschen mit Geld und Einfluß das, was Kultur schon immer war: Dekoration des schönen Lebens und ein Mittel, Reichtum und damit Macht zu demonstrieren.

Deshalb trifft der/die naive Kunstbegeisterte in solchen Kreisen auf das zunächst seltsam erscheinende Phänomen, daß die Kulturkreis-Mitglieder wenig bis überhaupt keine Ahnung von Kultur haben und sich auch nicht dafür interessieren. Gesprächsansätze in diese Richtung, die der idealistische Neuankömmling anfangs noch versuchsweise startet, versanden innerhalb von Sekunden, und man kehrt schleunigst zum Austausch von Reise- und Kauferlebnissen zurück.

Der naive Neuankömmling ist im übrigen ohnehin nicht erwünscht. Er stört das schöne Gefühl des Im-eigenen-Saft-Schwimmens, die Gemütlichkeit des vertraulichen Geschwätzes über nichts.

Damit der Naive bei den Mitgliederversammlungen keine unerwünschte Kritik während des Tagesordnungspunktes "Aussprache" üben kann, befindet sich dieser Punkt am Ende der Tagesordnung und wenige Minuten vor dem Start des zugehörigen Preisträgerkonzerts, mit dem die jungen geförderten Künstler geehrt werden.

Kleine Marginalie am Rande, die den Stil solcher Kulturkreise beleuchtet: Wenn der Kulturkreis-Vorsitzende dem Organisator der gesponsorten Konzertreihe als Dank eine Flasche Wein überreicht und dieses popelige Geschenk mit den peinlichen Worten begleitet, daß es ein "hervorragender Wein" sei, der - noch peinlicher - "fast" einem Rothschild gleichkomme, so wird hier mit huldvoller Gutsherrenarroganz eine Geschmacklosigkeit auf die nächste gestapelt, und das gegenüber einem Mann, der als einziger in diesem Kreis wirklich Ahnung von Musik hat. Aber was soll's - wes Brot ich ess, des Dank ich sing.

Über das letzte Preisträgerkonzert decke ich den Mantel gnädigen Schweigens. Nur soviel: Es wurden humorvolle Reden vorgelesen - jawohl, auch die Scherze wurden vom Blatt abgelesen -, und es wurden exotische Marimbaklänge mit Klavier kombiniert. Autsch. Gottdank konnte ich in der gleichen Woche zwei wunderbare Konzerte mit Musik hören, die diesen Namen verdient - Musik, die einem eine Ahnung gibt davon, daß der Mensch nicht nur zum Fressen und Sterben geboren wurde.

Jedenfalls ist die naive Kunstliebhaberin mal wieder ein kleines bißchen klüger geworden. Jajaja, neeneeneee.

Donnerstag, 27. September 2007

Altweibersommer am Ostersee

Ein Spätsommertag wie gemalt - gläserne Luft, die heiß ist von der Mittagssonne, herbstfarbener Wald um den idyllischen Ostersee, im Schilf hier und da ein paar Sonnenanbeter, vorzugsweise unbekleidet und vorzugsweise im Alter der herbstlichen Jahreszeit entsprechend.

Zwei fröhliche alte Männer steigen aus dem Wasser, ein bayrisch eingefärbtes Geplauder entfaltet sich - "muß man oasnutzn", "Genuß ohne Reue", "dös Wetter sull jo onders werdn" usw.; da bricht ein gebieterischer Ruf in die Idylle ein.

"Ruhe" schreit eine Dame, oder müssen wir sagen, eine Frau, denn sie liegt ganz und gar nackt im Gras, der Sonne hingegeben. Die alten Männer gucken aber nicht, und sie schweigen auch nicht, sie machen einfach weiter mit ihrem bayrischen Geplauder. "Ruhe" schreit die Frau wieder, und es klingt jetzt ganz böse.

"Do hot jemand Ruhe gerufa" teilt eine alte und übrigens stark bekleidete Frau den beiden fröhlichen Männern mit; sie schleppt ein umfängliches Gepäck auf ihrem Rücken und schaut ein bißchen aus wie die alten Hutzelweiblein aus Ubbelohdes Grimms-Märchen-Illustrationen.

Ja freili, sagen die Männer und sind einfach nicht still. Jetzt ruft die Nackte nicht noch einmal in die Landschaft. Verbittert liegt sie in der Sonne, ihr Karma oder was immer sie gerade hegte ist zerstört, und wir fragen uns, welches Wort sie so in Rage brachte.

War es das flache Gerede vom "Genuß", das ihr Einswerden mit der Schöpfung verhinderte? Oder gar das Wörtlein "Reue"?

Und die Sonne scheint weiterhin auf Nackte und Nichtnackte, auf Alte und Junge, auf gutgelaunte Mücken und Bremsen, die reichlich Nahrung finden, auf Schilf, auf glitzerndes Wasser, auf Herbstlaub und im zarten Dunst verschwimmende ferne blaue Berggipfel.

Montag, 16. Juli 2007

Liszts Liedern lauschen

Neulich war ich in einem Konzert in der Staatsbibliothek.
Eine bekannte Sängerin sang Lieder von Liszt. Die Sängerin trug ein weißes Abendkleid; sie war kontrastreich geschminkt, ihre Augen funkelten, sie riß den dunkelroten Mund auf, zog die schwarzen Augenbrauen schmerzlich zusammen, strahlte zwischendurch furchterregend und bewegte sich leidenschaftlich hin und her. Sie mußte hoch und laut und mit sehr viel Vibrato singen,und es tat oft ein bißchen in den Ohren weh, wenn sie sehr laut und sehr hoch sang. Besonders laut war ein Lied zu dem Goethe-Text: "Süßer Friede, komm ach komm in meine Brust". Aber Mignons Lied aus "Wilhelm Meister" war auch ziemlich dramatisch. Dann gab es noch ein neues Lied von Liszt, in dem ein unbekannter Autor anläßlich des erwachenden Morgens "das Wogen der Brust" fühlt und sich seiner "freudig bewußt"ist. Das war kurz, aber besonders laut.
Das Publikum, in Ehren ergraut und vertrocknet, lauschte gesittet, wobei man verstohlen umherguckte, wer denn alles gekommen sei und wen man hinterher beim Empfang treffen müsse.
Zwischendurch erzählte eine erlesen frisierte Dame, die ein "von" vor dem Nachnamen trug, von Liszts Auftreten in München und las aus Briefen von Zeitgenossen vor. Sie hatte ein helle, brüchige Stimme und machte das - sagen wir mal - ganz reizend. Das Publikum schmunzelte entzückt, als sie vorlas, wie Bettina von Arnims Tochter Maxie beteuerte, daß sie es nicht bereut habe, den Grafen Pocci zum Abschied zu küssen.
Nach dem Konzert gab es Laugenbrezeln, Ökosemmeln und Wein. Ich ging in den hellen, verregneten Juliabend hinaus, die Ludwigstraße glänzte naß, der Himmel war licht und ich atmete tief die kühle frische Luft.

Donnerstag, 12. Juli 2007

Perlen am Nordseestrand

Wenn in Deutschland ein Regentief das nächste ablöst, der Himmel grau und der Boden feucht ist, sollte man an die Nordsee fahren. Dort ist der Himmel noch grauer, der Wind noch kälter und die Bemühungen der Touristen um Ferienstimmung - "es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur unpassende Kleidung, hohoho" herzstärkend. Unglaublich, wie standhaft die urlaubenden Großmütter und Großväter, in Anoraks und Westen verpackt, von Caféterrassen und Bänken unter düster wolkenverhangenem Himmel aufs Meer starren. Dort gibt es ja auch viel zu sehen - Wellen mit Schaumkronen, Wellen ohne Schaumkronen, Autofähren im Halbstundentakt und Möwen. Und man hört im Vorbeischlendern echte Perlen der Gesprächskunst:
I.
Mann (alt, Anorak), zu Frau (alt, Anorak): "Dann ess ich jetzt mal meine Banane."
Frau: "Hm."
(Eine halbe Stunde später sitzt das Paar immer noch auf der Bank. Der Mann hat eine Bananenschale in derHand, die Frau schläft.)

II.
Mann (alt, Anorak) zu Frau (alt, Anorak): "Äh, sach mal, haste denn dein Dingens dabei?"
Frau: "Eh. Weiß nich."
Mann: "Na, dein Dingens, dein Tempo."
III.
Mann (alt, Weste) zuFrau (alt, Weste), vor Gemüseauslage des Kaufmanns stehend: "Du, die haben keine Erdbeeren!"
Frau (tief entrüstet): "Da gehn wir nich nochmal hin!"
..........
So tobt das Leben der Rentner auf Föhr...
...........
Aber die Fischbrötchen haben Clara wieder geschmeckt, und sie ist im Meerwasser der Therme geschwommen, und bei Abendspaziergängen zwischen grünen Weiden, wenn die Sonne gegen zehn Uhr hinter rosa Wolken unterging, sahen wir glückliche Kühe, schimpfende Austernfischer mit spitzen gelben Schnäbeln und blühende Gräser, die sich samt rosa Wolken und Goldsonne im Prielwasser spiegelten.

Sonntag, 13. Mai 2007

Muttertag

Was denkt eine Mutter am Muttertag?
"Wird auch Zeit, daß mir mal jemand dankt - wieso eigentlich sonst nicht", oder: "Künstliche Geschichte, diese Nazi-Erfindung; wieso sollen Mütter was Besseres sein als der Rest der Menschheit", oder: "Alibi-Tag, der das schlechte Gewissen der ausbeuterischen Männerwelt beruhigt"?
Ich denke an Monika Bleibtreu, die kürzlich beim Deutschen Filmpreis ihrem Sohn dankte, von dem sie so viel gelernt habe - Humor etwa, was bitter nötig gewesen sei...
Ich finde es höchste Zeit, daß eine Mutter, die Prominenz und daher Einfluß hat, den Spieß mal umdreht und statt der bekannten Lamentatio über die angebliche Doppelbelastung von Mutter-"Rolle" und Beruf darauf verweist, wie viel wir Mütter durch unsere Kinder lernen.
Ja, wir lernen von unseren Kindern und wir verändern uns durch sie; wir werden zu anderen, zu neuen Menschen durch die wunderbare Gegenwart unserer Kinder, durch die Verantwortung für sie, die Liebe zu ihnen, durch den erneuerten Kontakt mit dem, was in uns noch Kind ist; wir werden lebendiger durch die Spontaneität, die Phantasie, den Humor unserer Kinder, und wir werden getröstet und gestärkt durch ihre Liebe, durch ihre Geduld, die sie mit unseren kleinen Spleens haben, und durch ihre Fürsorge, wenn wir älter und einsamer werden.
Das alles geht in dem gegenwärtigen Gerangel um Kinderbetreuung, Ganztagesschulen, Kinderkrippen vollkommen unter. Wie müssen sich Kinder heute fühlen, wenn sie in all diesen Diskussionen letztlich nur als Störfaktor bei der beruflichen "Selbstverwirklichung" der Frauen vorkommen?
Ich jedenfalls bin sehr froh über meine vier Kinder und über das, was sie aus mir gemacht haben. Danke, Charlotte, Danke, Dietrich, Danke, Anna, Danke, Clara!

Donnerstag, 3. Mai 2007

Kann man Zwölftonmusik lieben?

Neulich war ich in einer Lesung plus Konzert: zu dem Thema "Thomas Mann und die Musik" wurde aus dem "Doktor Faustus" sowie aus den Briefwechseln zwischen Thomas Mann, Th. W. Adorno und Arnold Schönberg vorgelesen, und zwischendurch spielte eine Pianistin Klavierstücke von Schönberg.

Kurze Anmerkung für die, die den "Doktor Faustus" nicht kennen: Th. Mann schildert darin einen Komponisten, der nach einem mysteriösen Pakt mit dem Teufel eine sensationell neue Musik erfindet - nämlich die Zwölftonmusik. Schönberg, der (neben dem weniger bekannten Komponisten Hauer) ja der eigentliche Erfinder der Zwölftonmusik ist, war nun schrecklich besorgt, daß die Leser dieses Romans - also eines fiktiven Werks - dessen ebenso fiktiven Komponisten für den wahren Erfinder der Zwölftonmusik halten könnten, so daß ihm, Schönberg, der ihm zustehende Ruhm nicht zuteil würde. Es ist bewundernswert, wie diplomatisch und höflich Thomas Mann in seinen Briefen an Schönberg mit den abseitigen, um nicht zu sagen dümmlichen Sorgen des Herrn Schönberg umging. Ebenso diplomatisch verfuhr Mann übrigens auch mit Adorno, der sich von seiner beratenden Tätigkeit bei den Textpassagen des "Doktor Faustus", die von Musik handeln, eine Teilhabe an Thomas Manns Ruhm erhoffte ...

So viel zur Information. Mir geht es hier aber nicht um Thomas Mann und auch nicht um sein Verhältnis zu Schönberg und Adorno, sondern um die Zwölftonmusik.
Die wurde an dem besagten Abend nun von einer russischen Pianistin dargeboten, und zwar mit großer Ausdrucksintensität, ja Theatralik. Es fehlte nicht an feinsinniger Mimik, intensiven Körperverrenkungen, dramatischen Zuckungen - kurz: wer nur die Pianistin betrachtet hätte, ohne die von ihr hervorgebrachten Töne zu hören, hätte nicht gezweifelt, daß hier eine extrem emotionale, spannungsgeladene und bewegende Musik realisiert wurde.

Die Musik aber, die man hörte, war: scheußlich. Zusammenhangloser, schmerzhaft kakophonischer Wahnsinn.

Der künstlich hergestellte Zusammenhang nach den ausgetüftelten Regeln der Zwölftonreihe ist ganz offensichtlich mit den Ohren nicht erkennbar, sondern nur anhand einer genauen Analyse des Notenbilds. Mit dem gleichen Recht, wie Schönberg sein akustisches Vexierspiel als "Musik" bezeichnet hat, könnte ein Autor, der beispielsweise die Buchstaben seines Gedichts, bevor er es druckt oder vorliest, durcheinanderwürfelt, von den solcherart neu entstandenen Kunstworten behaupten, sie seien Poesie. Man könnte solche "Poesie" sicher, ebenso wie Schönbergs Musik, mit Verve und vehementem Ausdruck vortragen, ohne daß irgendein Sinn als der durch die Ausdrucksweise behauptete entstünde.
Aber was soll einem eine Musik, deren Sprache man nicht versteht? Die nicht das vermag, was Musik über die Jahrhunderte hinweg immer vermocht hat - nämlich zu bewegen, zu rühren, ja mehr: mitten ins Herz zu treffen?
Es ist doch interessant, daß die gesamte "U-Musik",vom Schlager bis zum anspruchsvollsten Pop, den Weg der sich für seriös haltenden zeitgenössischen Komponisten in die Kakophonie nicht mitgegangen ist. Die Musik, die vom überwiegenden Teil der abendländischen Menschheit geliebt wird, ist nicht zwölftönig, aleatorisch oder sonstwie "modern". Nein, sie ist, wie mal ein Musikkritiker der SZ mißbilligend bemerkte, "zutiefst konservativ".
Mich wundert es immer wieder, daß die Apologeten der modernen Musik fest die Augen davor verschließen, daß Musik immer noch als "Klangrede" wahrgenommen wird, daß man aber die Regeln, nach denen Sprache - und ebenso Musik - funktioniert, nicht einfach willkürlich ändern kann. Wer möchte schon in ein Theaterstück gehen, in dem statt Rede und Gegenrede nur sprachähnliche Laute ausgestoßen werden, allerdings mit den gleichen emotionalen Einfärbungen und Gesten wie echte Sprache? So etwas ist vielleicht fünf Minuten lang neu, dann skurril, dann langweilt es.
Daß ein leidenschaftlicher Musikliebhaber wie Adorno trotz seiner Liebe zur klassischen Musik ein glühender Verteidiger der Zwölftonmusik war, ist erklärbar wohl nur aus seiner marxistisch geprägten Kulturtheorie. Mit dem Ende der bürgerlichen Epoche hatte gefälligst auch deren Musik abzudanken; die "Zukunftsmusik" der neuen Zeit mußte eben auf ganz neuen Prinzipien errichtet werden, und wenn die Menschheit diese Musik nicht wollte, so zeigte sie damit nur, daß sie rückwärtsgewandt und bürgerlich erstarrt war.
Fast schon unheimlich, wie dieses Sich-Verrennen in eine Theorie die Sinne vernagelt. Aber das gilt möglicherweise für viele Theorien...




Mittwoch, 21. März 2007

Das "Hänsel-und-Gretel"-Prinzip oder: Schwäbische Pädagogik

"Back to the roots" sagte sich ein Elternpaar im schwäbischen Uttenweiler:

"Weil sie ihr Zimmer nicht aufgeräumt hatten, sind zwei kleine Mädchen im baden-württembergischen Uttenweiler von ihren Eltern im Wald ausgesetzt worden. Eine Spaziergängerin fand die vier und sieben Jahre alten Kinder am frühen Freitagabend frierend und verängstigt und alarmierte die Polizei. Die Kinder wurden danach zu ihrer Familie zurückgebracht. Das Jugendamt setzte jedoch eine Familienpflegerin ein, die zunächst wenigstens eine Stunde am Tag anwesend sein soll. Die Eltern hätten von Anfang an nicht geplant, die Kinder dauerhaft auszusetzen, betonte ein Polizeisprecher. Sie hätten die Kinder wieder aus dem Wald abholen wollen, sie dort aber nicht mehr angetroffen." (SZ vom 19.3.2007, dpa)

Die Vorfahren dieses schwäbischen Elternpaars sollen in den hessischen Wäldern gehaust haben, wo sie bereits im 17. Jahrhundert ihr hochwirksames Erziehungsprinzip der Kindsausetzung im Wald entwickelten. Wie der Vater der Mädchen, Herr Norbert Wimmerle, auf unsere telefonische Anfrage hin betonte, sei dieses Prinzip von den Brüdern Grimm in dem bekannten Märchen von Hänsel und Gretel völlig verfälscht dargestellt worden. Herr Wimmerle war im übrigen äußerst erbittert über das unbefugte Sicheinmischen der Spaziergängerin, durch die die "gesamte Maßnahme fählgeschlage isch - meine Mädle waren hochgradig verunsichert und hielten doch tatsächlich diese übermotivierte Frau für die Hex!" Hier lachte Herr Wimmerle herzlich, und auch seine Frau schmunzelte hörbar, obwohl, wie sie ergänzend bemerkte, "die Situation jätzscht extrem schwierig isch - das Erziehungsziel isch halt wägen der ganzen Aufregung ein bissle in den Hintergrund gerückt, gell!"
Es scheint in dieser Hinsicht aber doch Hoffnung zu bestehen, denn die beiden Töchter hielten sich, wie uns Herr Wimmerle mit unverhülltem Stolz in der Stimme versicherte, während des gesamten Telefongesprächs in ihrem Kinderzimmer auf, das sie "zum ärschtenmal völlig freiwillig aufgeräumt habet, hano!"

Donnerstag, 8. März 2007

Ist Peter Singer glücklich?

Neulich war ich auf einem Fest. Einem Faschingsfest in dem Zentrum, wo meine Tochter Clara von Montags bis Freitags lebt (am Wochenende ist sie zu Hause). Und es war umwerfend. Nirgendwo sonst habe ich solche Lebensfreude, solche Begeisterung, solche hinreißend gute Laune erlebt wie dort. Unter dem Motto "Die damischen Ritter von Giesing" hatten sich alle wunderbar verkleidet, die Betreuer hatten Burgkulissen gemalt, es gab Krapfen, und zu schwungvoller Musik wurde kräftig "abgetanzt" (das geht auch mit Rollstühlen).
Als ich wieder nach Hause fuhr, mußte ich an Peter Singer denken. Das ist dieser in Deutschland sehr heftig umstrittene australische Ethiker, der inzwischen in Princeton lehren darf und neulich bei Maischberger eingeladen war, wo er mit anderen Gästen über das Lebensrecht Behinderter diskutierte. Das bestreitet er nämlich, das Lebensrecht, der gute Herr Singer, u.a. mit dem Argument, daß man schwerbehinderte Säuglinge zu ihrem eigenen Wohl bzw. auch zum Wohl ihrer Eltern töten dürfe. Begründet wird das mit der utilitaristischen Zielsetzung der "Glücksmaximierung" bzw. Leidverhinderung.
Dazu gäbe es eine ganze Menge zu sagen, aber dies soll keine philosophische Abhandlung werden. Besonders absurd - das möchte ich hier doch erwähnen - fand ich allerdings einen Artikel von einem Helmut F. Kaplan, der ein Anhänger Singers und ein Propagandist von "Tierrechten" ist. In diesem Artikel gibt es u. a., nachdem Kaplan erstmal Handlungen und Unterlassungen in einen Topf geschmissen hat, die folgende an Irrsinn grenzende Scheinlogik zu bewundern: "Wenn man es für moralisch falsch hält, ein neugeborenes ...Kind ...zu töten, weil sich daraus einmal eine Person entwickeln wird, dann müßte man es ... auch falsch finden, eine Handlung zu unterlassen, die die gleiche Konsequenz hat: den Geschlechtsverkehr. In beiden Fällen, bei der aktiven Tötung wie bei der Nichtzeugung, wird das Entstehen einer Person verhindert. Tötung und Nichtfortpflanzung, Handlung und Unterlassung, haben die gleiche Konsequenz - und sind daher moralisch vergleichbar."
Zur Kritik an Singer gibt's eine ganze Menge Informationen im Internet; bei Wikipedia sind einige "Basics" nachzulesen und ein paar gute Links. Bei Maischberger jedenfalls wurde Singer mit der Pflegemutter eines behinderten Down-Syndrom-Kindes konfrontiert, das seine Abtreibung überlebt hatte und inzwischen ein fröhlicher und, jawohl, ein sehr glücklicher Junge geworden ist. Auf die Frage, ob er es nicht schön fände, daß der kleine Tim lebt, antwortete Singer: "Ich finde es falsch, daß dieses Kind am Leben ist." Was der Herr Professor aus Princeton zu den kritischen und präzisen Fragen der gut informierten Gäste sonst noch zu sagen hatte, war nicht besonders bemerkenswert; er machte keine gute Figur, unterließ es aber fast nie, ein souverän-gütiges Lächeln zur Schau zu tragen.
Dieses Lächeln kann man auch auf der Homepage des Professors bewundern, und zwar gleich elfmal. Denn genau so viele Fotos von Singer höchstpersönlich, in leger-edlem leinenen Freizeithemd, finden sich auf der Homepage: Singer im Gegenlicht, Singer auf einer überwachsenen Steinmauer, Singer kurzbehost im Grase knieend, Singer der Tierfreund ein Schaf streichelnd ... Und immer dieses penetrant gütige Lächeln. Man meint schließlich, wie weiland Alice im Wunderland, als sie der grinsenden Katze begegnet, nur noch das Grinsen des Professors zu sehen.
Und es ist doch interessant, warum der Ethikprofessor, der zum Töten aufruft, sein eigenes Existieren gleich elfmal im Foto beweisen muß. Wer weiß, vielleicht fühlt er sich ja nur lebendig, indem er Leben verneint. Ob er damit auch glücklich ist, möchte ich allerdings bezweifeln.

Donnerstag, 1. März 2007

Ihr Kinderlein kommet

...zur Krippe herkommet, und zwar nicht der "Ur-Krippe" in Bethlehems Stall, sondern in eines der von Frau von der Leyen propagierten Aufbewahrungs-Ghettos. Und von den Kindern muß in dieser künstlich aufgeheizten Diskussion zuallererst geredet werden - nicht von den Müttern.
Schon der Name für diese Baby-Sammelstellen ist ein Hohn und pervertiert den ursprünglichen Sinn, nämlich ein von der leiblichen Mutter behütetes Bett für das neugeborene Baby zu sein. Nein, die Krippen, um die zur Zeit so heftig gestritten wird, sind keine von der Mutter behüteten Orte für Kleinkinder, sondern von bezahltem Fachpersonal durchorganisierte "Betreuungsangebote", wo auch die ganz Kleinen schon "gefördert", beurteilt, aufs Lernen vorbereitet und auf das Leben in Gemeinschaft hin sozialisiert werden.
Na und? Ist das so schlecht? Nein, es ist sicher nicht die Hölle, und manch ein Kind wird so etwas ohne "sichtbare" Schäden, aber mit den messbaren Positiva erhöhter Teamfähigkeit, Flexibilität und Lenkbarkeit durchlaufen.
Warum also rege ich mich auf?
Ich glaube, daß hier etwas Grundsätzliches übersehen wird. Es geht nicht nur darum, daß mit der Kinderkrippe dem kleinen Kind bereits im Stadium des Nesthockers etwas zugemutet wird, das erst zu einem späteren Zeitpunkt seiner Entwicklung kommen dürfte. Nein, das Entscheidende ist, daß ihm das vorenthalten wird, was es zu Beginn seines Lebens am meisten braucht: die ungeteilte und nicht bewertende Liebe der Mutter. Eine Mutter liebt ihr Kind um seiner selbst willen, nicht wegen irgendwelcher Merkmale oder Begabungen. Nur durch diese Liebe, die keine Gründe braucht und sucht, bekommt das Kind das Urvertrauen, das die Voraussetzung zur Entwicklung einer gesunden und glücklichen Persönlichkeit ist. Keine noch so engagierte Erzieherin kann hier die Mutter ersetzen.
Klar - auch die Erzieherin "mag" ihre Krippenkinder, auch sie ist "nett" zu ihnen; aber sie wird gar nicht umhin können, die ihr anvertrauten Kinder zu vergleichen, zu bewerten, zu beurteilen. Und schon sind die Kinder dort, wo sie ohnehin früh genug hinkommen - im Prokrustesbett des Leistungsdenkens, des "Rankings", des "Nutzens". Und wenn dann die Fremdbetreuung jeden Tag acht Stunden dauert, wird das Argument von der"Qualität" der mütterlichen Zuwendung, die angeblich die "Quantität" aufwiege, unglaubwürdig.
Die Lösungen liegen anderswo, nicht im Ausbau der Kinderkrippen. Mehr Zeit für die Familie, mehr Flexibilität bei Halbtagsjobs, bei der Rückkehr in den Beruf nach mehrjähriger Familienpause, mehr häusliche Hilfen für Mütter (zum Beispiel eine Art Zivildienst - auch übrigens für Mädchen - in Familien): das sind einige Stichworte; hier sollte Frau von der Leyen mal Phantasie entwickeln, anstatt alte Pläne der Schröderregierung aus der Schublade zu ziehen ...

Dienstag, 27. Februar 2007

Jaja, der Oscar

Ich möchte zuallererst den Titel meines Blogs kurz erläutern. Er ist ein Zitat von Joseph Beuys (ob und wie ich den schätze, sage ich ein andermal). Beuys kam mal von einer Beerdigung bei Verwandten nach Düsseldorf zurück, wo er einem Disziplinarausschuß Rede und Antwort stehen mußte. Auf der Beerdigung hatten seine Verwandten kopfnickend dagesessen und immer bloß "Ja, ja, ja" oder "nee, nee, nee" gemurmelt. Und so antwortete Beuys den Herren und Damen des Ausschusses auf ihre Fragen auch nur mit "Ja. ja, ja" und "Nee, nee, nee" ...
Ich bin, wenn ich beim Frühstück unsere Tageszeitung lese, auch so ein Kofpschüttler und Jajaja-Neeneenee-Sager. Letztlich läßt sich wohl das meiste auf diese Grundpfeiler der menschlichen Kommunikation zurückführen ...
Trotzdem will ich das, was sich sprachlich um solches Kopfschütteln herumranken läßt, ab jetzt einfach mal "bloggen".
Und damit bin ich beim aktuellen Thema: dem Oscar für "Das Leben der Anderen". Meine Reaktion: Freude, Zustimmung, also: großes "Ja". Die Zeitungs-Kommentare vorher, beispielsweise in der FAS (Frankf. Allgem. Sonntagszeitung): hämisch, unsachlich. Da wurde über H.v.D.'s Name gelästert - eine wohlfeile Häme, die ich übrigens ganz besonders primitiv finde -, sein angeblich pompöses Selbstbewußtsein ironisiert, usw. usw.
Warum mögen die Herren und Damen der Feuilletons diesen Mann nicht? Er paßt eben nicht ins Klischee des "Künstlers", der gefälligst neurotisch, proletarisch, ungehobelt und unangepaßt zu sein hat. Florian H. v. D. aber kommt aus gutem Haus, pflegt keine Komplexe in der Öffentlichkeit, tritt selbstbewußt auf und irritiert somit nachhaltig die Zunft, die Derartiges nicht gewöhnt ist.
Natürlich müssen diese Leute - die ja alle die Oscarverleihung tief verehren - jetzt erstmal klein beigeben. Aber nun wird schon geunkt: Wird von Donnersmarck die Last des Oscars und der daran geknüpften Erwartungen aushalten??!!
Ich jedenfalls freue mich auf seinen nächsten Film. Jajaja....