Samstag, 29. September 2012

Judith Butler und der Fettnapf

Es war einmal eine traurige amerikanische Philosophin, die sich fremd in ihrem Körper fühlte, Frauen liebte und deswegen die biologische Zweiteilung der Menschheit in zwei verschiedene Geschlechter (engl. gender) nicht akzeptierte. Sie fand Trost bei der französischen Philosophin Simone de Beauvoir, die zwar Männer liebte, aber trotzdem überzeugt war, dass man nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht würde, und baute dies zu ihrer Gender-Theorie aus, die sie in viele rätselhafte, aber modische Wörter einkleidete, so dass die Intellektuellen in der ganzen Welt tief beeindruckt waren. Wie glücklich war man weit und breit, dass endlich einmal wieder alle Gewissheiten in Bewegung gerieten, und das Beste daran war, dass man die Begriffe der traurigen Philosophin nachplappern konnte und sofort von anderen Intellektuellen als brillant, informiert und auf der Höhe des Zeitgeists befindlich eingeschätzt wurde.
Dann aber passierte etwas Schreckliches, ausgerechnet kurz vor dem Tag, an dem die traurige Philosophin einen Preis erhalten sollte, genannt nach einem berühmten Denker, der für seine „kritische Theorie“ und „negative Dialektik“ von allen Intellektuellen und jenen, die es sein wollten, immer über den grünen Klee gelobt worden war:

Die traurige Philosophin trampelte in ein riesengroßes Fettnäpfchen!

Obwohl sie Jüdin war, kritisierte sie Israel und seine Politik und pries deren Feinde, die Hamas und Hisbollah, als „Teil einer globalen Linken“.
„Oh my God“, dachten nun viele Intellektuelle, „wie kann das sein? Ist unsere Gender-Spezialistin etwa doch nicht so klug, wie wir gedacht haben?“ Und es entstand eine hitzige Diskussion in allen Medien darüber, ob die traurige Philosophin den Preis kriegen dürfe oder nicht.
Aber ebenso schnell, wie man sich aufgeregt hatte, beruhigten sich alle – oder fast alle – wieder. Nein, sagten die meisten, wir haben uns nicht geirrt, eine kluge Philosophin bleibt klug, auch wenn sie anstößige politische Auffassungen hat. Das muss man einfach auseinanderhalten.
Dennoch wurde im Windschatten des allgemeinen Zweifels hier und dort auch scharfe oder gar vernichtende Kritik am wissenschaftlichen Rang der traurigen Philosophin geäußert. Die Gender-Theorie jedoch blieb, bis auf wenige Ausnahmen merkwürdig unangetastet.

Und die Philosophin selbst? Sie sagte nicht etwa, dass sie Unsinn geredet habe. So etwas darf eine Philosophin, die auch in Zukunft respektiert werden möchte, niemals tun. Sie griff ganz einfach zu dem Zauberwort, das auch ein Politiker ausspricht, wenn er ein Fettnäpfchen getroffen hat: „Missverständnis“. Und sie fügte hinzu, dass sie „gegen Gewalt“ sei.

So kehrte wieder Friede ein in die Welt der Intellektuellen.

Nachwort: ich selbst habe bereits vor drei Jahren in diesem Blog zu Judith Butler und ihren Ideen, insbesondere der Gender-Theorie, kritisch Stellung genommen. Wer es nachlesen möchte, möge es tun (unter 2009 der Post vom 11. Februar).