Dienstag, 12. Juni 2012

Frühkindliche Bildung im Kinderdepot

Seit Wochen tobt der Kampf um das Betreuungsgeld, mit einem Fanatismus von den Betreuungsgeld-Gegnern geführt, angesichts dessen man sich fragt, ob es hier nicht um sehr viel mehr geht.

Die letzte Stellungnahme, wo wieder einmal so getan wird, als ob das Betreuungsgeld verhindern würde, dass Dreijährige in die Kita geschickt werden, stammt von Alex Rühle und wurde heute unter dem Titel „Lästiger Kostenfaktor auf der Krabbelstufe I“ in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht.

Alex Rühle beschließt seinen Kommentar zum Kita-Ausbau mit den Worten: „Das Betreuungsgeld soll dafür gezahlt werden, dass Eltern ihre Kinder nicht in die Kita geben. Es ist zum Heulen.“

Ja, es ist in der Tat zum Heulen. Es ist zum Heulen, dass die SZ konstant Betreuungsgeld versus Kita-Ausbau hält und damit verschleiert, dass diese Unterstützung Müttern von Kleinstkindern zugute käme, die ihren noch hilf- und, wohlgemerkt, sprachlosen (!) Kindern die Zuwendung und Geborgenheit geben möchten, die sie in diesem Alter noch brauchen. Kinder zwischen 0 und 2 Jahren brauchen keine sogenannte „frühkindliche Bildung“, was immer das sein soll; sie brauchen Liebe, Geborgenheit und die Konstanz einer liebevollen Bezugsperson.

Dass solche häusliche Betreuung von Kleinstkindern, ermöglicht durch das Betreuungsgeld, nichts zu tun hat mit der für bildungsferne Schichten sicherlich sinnvollen Förderung von Kindern ab 3 Jahren in Kitas, ist eigentlich eine Trivialität, die man aber offenbar immerzu wiederholen muss, damit sie irgendwann auch mal in den gehirngewaschenen Köpfen der liberalen Journalisten, Politiker und leider auch jungen Frauen ankommt.

Warum ignoriert die SZ statistische Erhebungen, aus denen hervorgeht, dass ein Kleinkind im Alter von einem Jahr nach mehreren Stunden in einer Krippe oder Kita den Stresspegel eines Börsenmanagers erreicht? Warum stiert man von links bis liberal-mittig mit Tunnelblick auf das eherne Gebot der Radikalfunktionalisierung aller Mütter im und durch den Beruf? Man fühlt sich auf erschreckende Weise an Michael Endes „Momo“ und die dort geschilderten „Kinderdepots“ erinnert.

Ich empfehle zur Erweiterung des vom Furor der Betreuungsgeld-Kritik möglicherweise vernebelten Horzonts die Lektüre der sehr viel ausgewogeneren Kommentare der Konkurrenz, wie z.B. den Artikel „Antibürgerlich und sozialistisch“ von Georg Paul Hefty in der FAZ vom 5.6.2012.

Was eigentlich geschehen müßte: Jungen Müttern müsste eine sehr viel längere Familien- und Kinderpause ermöglicht werden, die, gestützt durch Fortbildungs- und berufliche Halbtagsangebote in großem Stil, keine Bedrohung für den Wiedereinstieg in den Beruf darstellen würde. Ein Ausbau der beruflichen Wiedereingliederungsmöglichkeiten von jungen Frauen mit Kindern wäre viel billiger als der hektisch betriebene Kita- und Krippenausbau, und er käme nicht nur den Frauen, sondern auch und vor allem den Kindern zugute, die eben nicht schon als Einjährige in den brutalen Zeitplan eines durchfunktionalisierten Berufslebens eingespannt werden müßten.

Man sollte im übrigen auch zur Kenntis nehmen, dass im sogenannten Ausland, auf das in dieser erhitzten Debatte immer verwiesen wird, Kleinkinder keineswegs so flächendeckend und umfassend schon in Kitas gesteckt werden, wie man hier glauben soll, sondern die „frühkindliche“ Förderung in Kitas eher ab dem Alter von zwei oder auch erst drei Jahren beginnt.

Ein letztes: Es ist unverschämt und arrogant, dass man Migrations- und sozial schwachen Familien keine liebevolle Betreuung ihrer kleinen Kinder zutraut. Die Wirklichkeit sieht anders aus, und vielen jungen, mittellosen Müttern würde das Betreuungsgeld die Chance geben, für ihre kleinen Kinder solange die unersetzliche Bezugsperson zu sein, wie diese Kinder noch nicht laufen, noch nicht sprechen und sich noch nicht wehren können. Eine humane Minimalforderung im Interesse der Kinder, die eigentlich selbstverständlich sein sollte.