Sonntag, 13. Mai 2007

Muttertag

Was denkt eine Mutter am Muttertag?
"Wird auch Zeit, daß mir mal jemand dankt - wieso eigentlich sonst nicht", oder: "Künstliche Geschichte, diese Nazi-Erfindung; wieso sollen Mütter was Besseres sein als der Rest der Menschheit", oder: "Alibi-Tag, der das schlechte Gewissen der ausbeuterischen Männerwelt beruhigt"?
Ich denke an Monika Bleibtreu, die kürzlich beim Deutschen Filmpreis ihrem Sohn dankte, von dem sie so viel gelernt habe - Humor etwa, was bitter nötig gewesen sei...
Ich finde es höchste Zeit, daß eine Mutter, die Prominenz und daher Einfluß hat, den Spieß mal umdreht und statt der bekannten Lamentatio über die angebliche Doppelbelastung von Mutter-"Rolle" und Beruf darauf verweist, wie viel wir Mütter durch unsere Kinder lernen.
Ja, wir lernen von unseren Kindern und wir verändern uns durch sie; wir werden zu anderen, zu neuen Menschen durch die wunderbare Gegenwart unserer Kinder, durch die Verantwortung für sie, die Liebe zu ihnen, durch den erneuerten Kontakt mit dem, was in uns noch Kind ist; wir werden lebendiger durch die Spontaneität, die Phantasie, den Humor unserer Kinder, und wir werden getröstet und gestärkt durch ihre Liebe, durch ihre Geduld, die sie mit unseren kleinen Spleens haben, und durch ihre Fürsorge, wenn wir älter und einsamer werden.
Das alles geht in dem gegenwärtigen Gerangel um Kinderbetreuung, Ganztagesschulen, Kinderkrippen vollkommen unter. Wie müssen sich Kinder heute fühlen, wenn sie in all diesen Diskussionen letztlich nur als Störfaktor bei der beruflichen "Selbstverwirklichung" der Frauen vorkommen?
Ich jedenfalls bin sehr froh über meine vier Kinder und über das, was sie aus mir gemacht haben. Danke, Charlotte, Danke, Dietrich, Danke, Anna, Danke, Clara!

Donnerstag, 3. Mai 2007

Kann man Zwölftonmusik lieben?

Neulich war ich in einer Lesung plus Konzert: zu dem Thema "Thomas Mann und die Musik" wurde aus dem "Doktor Faustus" sowie aus den Briefwechseln zwischen Thomas Mann, Th. W. Adorno und Arnold Schönberg vorgelesen, und zwischendurch spielte eine Pianistin Klavierstücke von Schönberg.

Kurze Anmerkung für die, die den "Doktor Faustus" nicht kennen: Th. Mann schildert darin einen Komponisten, der nach einem mysteriösen Pakt mit dem Teufel eine sensationell neue Musik erfindet - nämlich die Zwölftonmusik. Schönberg, der (neben dem weniger bekannten Komponisten Hauer) ja der eigentliche Erfinder der Zwölftonmusik ist, war nun schrecklich besorgt, daß die Leser dieses Romans - also eines fiktiven Werks - dessen ebenso fiktiven Komponisten für den wahren Erfinder der Zwölftonmusik halten könnten, so daß ihm, Schönberg, der ihm zustehende Ruhm nicht zuteil würde. Es ist bewundernswert, wie diplomatisch und höflich Thomas Mann in seinen Briefen an Schönberg mit den abseitigen, um nicht zu sagen dümmlichen Sorgen des Herrn Schönberg umging. Ebenso diplomatisch verfuhr Mann übrigens auch mit Adorno, der sich von seiner beratenden Tätigkeit bei den Textpassagen des "Doktor Faustus", die von Musik handeln, eine Teilhabe an Thomas Manns Ruhm erhoffte ...

So viel zur Information. Mir geht es hier aber nicht um Thomas Mann und auch nicht um sein Verhältnis zu Schönberg und Adorno, sondern um die Zwölftonmusik.
Die wurde an dem besagten Abend nun von einer russischen Pianistin dargeboten, und zwar mit großer Ausdrucksintensität, ja Theatralik. Es fehlte nicht an feinsinniger Mimik, intensiven Körperverrenkungen, dramatischen Zuckungen - kurz: wer nur die Pianistin betrachtet hätte, ohne die von ihr hervorgebrachten Töne zu hören, hätte nicht gezweifelt, daß hier eine extrem emotionale, spannungsgeladene und bewegende Musik realisiert wurde.

Die Musik aber, die man hörte, war: scheußlich. Zusammenhangloser, schmerzhaft kakophonischer Wahnsinn.

Der künstlich hergestellte Zusammenhang nach den ausgetüftelten Regeln der Zwölftonreihe ist ganz offensichtlich mit den Ohren nicht erkennbar, sondern nur anhand einer genauen Analyse des Notenbilds. Mit dem gleichen Recht, wie Schönberg sein akustisches Vexierspiel als "Musik" bezeichnet hat, könnte ein Autor, der beispielsweise die Buchstaben seines Gedichts, bevor er es druckt oder vorliest, durcheinanderwürfelt, von den solcherart neu entstandenen Kunstworten behaupten, sie seien Poesie. Man könnte solche "Poesie" sicher, ebenso wie Schönbergs Musik, mit Verve und vehementem Ausdruck vortragen, ohne daß irgendein Sinn als der durch die Ausdrucksweise behauptete entstünde.
Aber was soll einem eine Musik, deren Sprache man nicht versteht? Die nicht das vermag, was Musik über die Jahrhunderte hinweg immer vermocht hat - nämlich zu bewegen, zu rühren, ja mehr: mitten ins Herz zu treffen?
Es ist doch interessant, daß die gesamte "U-Musik",vom Schlager bis zum anspruchsvollsten Pop, den Weg der sich für seriös haltenden zeitgenössischen Komponisten in die Kakophonie nicht mitgegangen ist. Die Musik, die vom überwiegenden Teil der abendländischen Menschheit geliebt wird, ist nicht zwölftönig, aleatorisch oder sonstwie "modern". Nein, sie ist, wie mal ein Musikkritiker der SZ mißbilligend bemerkte, "zutiefst konservativ".
Mich wundert es immer wieder, daß die Apologeten der modernen Musik fest die Augen davor verschließen, daß Musik immer noch als "Klangrede" wahrgenommen wird, daß man aber die Regeln, nach denen Sprache - und ebenso Musik - funktioniert, nicht einfach willkürlich ändern kann. Wer möchte schon in ein Theaterstück gehen, in dem statt Rede und Gegenrede nur sprachähnliche Laute ausgestoßen werden, allerdings mit den gleichen emotionalen Einfärbungen und Gesten wie echte Sprache? So etwas ist vielleicht fünf Minuten lang neu, dann skurril, dann langweilt es.
Daß ein leidenschaftlicher Musikliebhaber wie Adorno trotz seiner Liebe zur klassischen Musik ein glühender Verteidiger der Zwölftonmusik war, ist erklärbar wohl nur aus seiner marxistisch geprägten Kulturtheorie. Mit dem Ende der bürgerlichen Epoche hatte gefälligst auch deren Musik abzudanken; die "Zukunftsmusik" der neuen Zeit mußte eben auf ganz neuen Prinzipien errichtet werden, und wenn die Menschheit diese Musik nicht wollte, so zeigte sie damit nur, daß sie rückwärtsgewandt und bürgerlich erstarrt war.
Fast schon unheimlich, wie dieses Sich-Verrennen in eine Theorie die Sinne vernagelt. Aber das gilt möglicherweise für viele Theorien...