Dienstag, 3. April 2012

Der edle Wilde. Zum 100. Todestag von Karl May

Was war eigentlich so faszinierend an Karl May? Es gab doch auch andere Autoren, die abenteuerliche Geschichten erzählten, Spannendes, Fesselndes, Romantisches, Lustiges, das man im Bücherfressalter zwischen 11 und 15 gierig verschlungen hat.
Aber Karl May hatte einen eigenen Ton, und es waren überaus edle Menschen, denen man begegnete. Menschen, wie sie nicht vorkamen im realen Leben, das sich im allmählichen Heranwachsen als verwirrend, nicht besonders attraktiv, nicht besonders edel und weder als abenteuerlich noch sonst irgendwie erhebend offenbarte.
Wie begeisternd war da der „edle Wilde“ Winnetou! Frei von allem Zivilisationsschrott, von allen Bedingtheiten des „zivilisierten“ Menschen, von dem moralischen und emotionalen Gemischtwarenladen, als den man sein eigenes unfertiges pubertierendes Ich und die Welt um sich herum wahrnahm. Ja, das war es! Ein freier, edler, kühner Geist, der den edlen Christusmythos der Kinderjahre ablöste und an seine Stelle trat. Und es mußte ein „Wilder“ sein – nur in ihm, diesem „freien“ Wesen, das nicht wie man selbst in einer fest definierten Zivilisation lebte, war – aus der noch unklaren, unreifen Erkenntnis der eigenen Bedingtheit - das absolut Edle, Gute und Schöne vorstellbar.
Dass Karl May diesen Übermenschen Winnetou sterben ließ, war logisch, und nie wieder habe ich bei einem Buch so viele Tränen vergossen wie bei Winnetous Tod. Der Begeisterung für die edle, heroische Welt Karl Mays ist nie mehr etwas Vergleichbares gefolgt. Das Lesen wurde erwachsener, die Lesewelt wurde realistischer, sie näherte sich, über Storm, Sigrid Undset, Thomas Mann und viele andere immer mehr dem „wirklichen“ Leben an.
Aber ich kann es immer noch verstehen, wenn – wie kürzlich in einer Radiodiskussion zu Karl May –ein enthusiastischer alter Herr sich hinreißen ließ, in süddeutschem Dialekt und euphorisch beschwingter Suada die Ethik, den Humor, die Spannung und die Kunst Karl Mays über den grünen Klee zu loben und zu preisen.
Danke, Karl May!