Samstag, 24. Mai 2008

Eheszenen, II

Ort: Das Restaurant eines Kaufhauses in München. Spektakulärer Blick über die Dächer und auf die Frauenkirche.
Am Nebentisch, direkt am Fenster, ein altes Ehepaar. Er ein alterskrummer dürrer Greis, tief über den Tisch gebeugt, eine vorspringende scharfe Vogelnase über schmallippgem kleinem Mund, fliehendem Kinn und faltig sich im Hemdkragen verlierendem eingesunkenem Hals. Tadelloser beiger Anzug, helle kleine Äuglein, die unruhig mal aus dem Fenster, mal auf seinen Teller, mal auf die gegenübersitzende Begleiterin springen. Die Ehefrau eine noch ganz propere, aber farblos-biedere Erscheinung, dunkle, brav am Hinterkopf zusammengesteckte Haare, ovales blasses Gesicht; die Kleidung gediegen und unauffällig - gutbürgerlich mit Perlenkette.

Beide schweigen eine Weile. Dann schaut sie auf ihre Armbanduhr. "Tja, es wird halt Zeit für mich", sagt sie in verhalten wienerischer Dialekteinfärbung.
Der alte Herr wird sofort ganz kregel. "Zeit? Ja, wieso denn? Nie hast du eine Zeit! Was willst denn noch machen, bittschön?"
Sie: "Ich müßt halt noch was besorgen."
Er: "Besorgen? Was denn besorgen! Immer mußt du noch was besorgen! Das ist doch ein Unsinn! Was willst denn noch besorgen!"
Sie murmelt etwas Unverständliches.
Er: "Also ich könnt hier noch drei Stunden sitzen. Ist doch schön hier. Aber du hast ja keine Zeit!"
Sie schweigt und bleibt sitzen.
Er: "Was hast zu trinken gehabt?"
Sie: "Einen Tee mit Zitrone."
Er: "Was hat der Tee denn gekostet?"
Sie: "Nichts."
Der alte Herr fährt regelrecht zusammen, kurzfristig ist er aus dem Konzept gebracht. Dann kichert er. "Nichts? Geh, was soll das heißen? Nichts? das kann doch nicht sein!"
Sie zuckt die Achseln. "Sechzig Cent", sagt sie schließlich.
Der Greis kichert wieder. "Sechzig Cent? Ah geh."
Sie zuckt nur wieder die Achseln. Er kichert und kramt sein Portemonnaie heraus, öffnet es umständlich, stiert hinein und fingert ein paar Geldstücke heraus, die er der Frau gibt. Dabei murmelt er: "Klinglinglinglingling, klinglinglingling, klinglinglinglingling."
Sie steckt das Geld ein. Dann erhebt sie sich und geht. Ihr Gesicht ist von geradezu erhabener Unbewegtheit, nur um die Mundwinkel sitzen ein paar kleine feine Resigantionsfältchen.
Er ruft ihr nach: "Gell, du vergißt mich hier nicht."
Sie geht weiter, ohne zu reagieren.
Der alte Herr kramt wieder in seinem Portemonnaie. Er brabbelt nun, außer "klinglingling", noch andere seltsame Lautketten vor sich hin, wie "loiloiloi", "dudeldudeldudel", "dildildildil".
Irgendwann ist er still, guckt mal zum Fenster hinaus, mal zu unserem Tisch hinüber, dann wieder auf seinen Teller.
Nach etwa fünfzehn Minuten kommt seine Frau zurück. Sie setzt sich wieder. Beide schweigen. Der Alte fingert an einer Serviette auf seinem Tablett herum, reicht sie seiner Frau und sagt: "Da, die ist noch sauber, die kannst du einstecken."
Sie nimmt die Serviette und legt sie auf ihrem Tablett ab.
Der Alte nimmt eine zweite Serviette von seinem Tablett auf, faltet sie neu, so daß die Innenseite nun außen liegt, und tupft sich den Mund ab. "Also, ich muß nicht nach München fahren", sagt er, "es ist eine ganz schöne Stadt, sicher, aber ich muß das nicht."
"Gehen wir?" sagt sie. Beide erheben sich und gehen.

Donnerstag, 1. Mai 2008

Ach, ihr armen Frauen

Sie können einem leid tun, die schrillen Frauen, die seit Charlotte Roches Bestseller "Feuchtgebiete" sich gegenseitig übertönen und nicht müde werden zu beteuern, wie selbstbestimmt und frei sie sind, wie schön sie es finden ins "Puff" oder Peepshows zu gehen, wie sehr sie sexuelle Erniedrigung genießen, usw. usf.
Da wuseln sie alle herum, betrachten ihre Genitalien und merken nicht, was sie längst verloren oder nie besessen haben.

Und ich lese ein Gedicht von Theodor Storm, das nicht von der Sexualität, sondern von der Liebe handelt und von der vergehenden Zeit, in der - trotz aller Unwiederbringlichkeit - die Liebe Bestand hat:

Gedenkst du noch, wenn in der Frühlingsnacht
Aus unserm Kammerfenster wir hernieder
Zum Garten schauten, wo geheimnisvoll
Im Dunkel dufteten Jasmin und Flieder?
Der Sternenhimmel über uns so weit,
Und du so jung; - unmerklich geht die Zeit.

Wie still die Luft! Des Regenpfeifers Schrei
Scholl klar herüber von dem Meeresstrande;
Und über unsrer Bäume Wipfel sahn
Wir schweigend in die dämmerigen Lande.
Nun wird es wieder Frühling um uns her;
Nur eine Heimat haben wir nicht mehr.

Nun horch ich oft, schlaflos in tiefer Nacht,
Ob nicht der Wind zur Rückfahrt möge wehen.
Wer in der Heimat erst sein Haus gebaut,
Der sollte nicht mehr in die Fremde gehen!
Nach drüben ist sein Auge stets gewandt;
Doch eines blieb - wir gehen Hand in Hand.