Mittwoch, 28. März 2012

Wie edel sind Sie, Frau Adler?

Offener Brief an Jutta Adler, Geschäftsführerin der Berliner Konzertdirektion Adler

Sehr geehrte Frau Adler!

Vor etwa drei Wochen habe ich Sie in einem persönlichen Brief gebeten, bei Konzerten, die von Ihrer Konzertdirektion veranstaltet werden, den Begleitpersonen von schwerbehinderten Rollstuhlfahrern eine Freikarte oder zumindest eine spürbare Ermäßigung zu gewähren – eine Freundlichkeit, zu der Sie als Privatfirma zwar nicht, wie staatliche Institutionen, durch die Gesetzgebung verpflichtet sind, die aber allgemein auch im privaten Wirtschaftssektor üblich ist.

Sie erwiderten diesen meinen Brief mit dem Anruf einer Mitarbeiterin Ihrer Konzertdirektion, die mich auf das „karitative Engagement“ von Adler in Form der Vergabe von Frei- oder ermäßigten Karten an karitative Einrichtungen aufmerksam machte und des weiteren behauptete, die in Frage stehenden Plätze seien „de facto“ ermäßigt, nämlich „eigentlich“ viel teurer, und dass es für mich aber anscheinend „netter“ sei, von einer Ermäßigung zu hören, die ja eigentlich auch vorhanden sei, nur eben nicht ausformuliert. Diese Ausführungen erwiesen sie sich bei einer genaueren Prüfung der entsprechenden Platzkategorien und der für das in Frage stehende Konzert ausgewiesenen Kartenpreise als falsch und widersprachen ohnehin der Auskunft des Mitarbeiters am Kartenschalter, der schlicht und unmissverständlich gesagt hatte, dass „Adler keinerlei Ermäßigungen für Rollstuhlfahrer und deren Begleitung“ gibt.

Ich schrieb Ihnen daraufhin ein zweitesmal und verwies zum einen darauf, dass Ihr karitatives Engagement in Hinblick auf Freikarten zwar erfreulich sei, dem individuellen Rollstuhlfahrer jedoch keinerlei Vorteile brächte, zum anderen, dass die Behauptung einer „eigentlich“ vorhandenen Preisermäßigung nicht den Tatsachen entspricht. Ferner äußerte ich noch einmal meine Bitte um einen deutlichen Preisnachlass für Schwerbehinderte und/oder deren Begleitung.

Auf diesen Brief haben Sie nicht geantwortet.

Ich finde das traurig und beschämend.

Es ist keineswegs eine Lappalie, wenn der führende Konzertveranstalter von Berlin den wenigen schwerbehinderten Rollstuhlfahrern, die in klassische Konzerte gehen möchten, nicht entgegenkommt; wenn er sich also ganz bewußt aus einer humanen Praxis ausklinkt, die generell in Deutschland (und der gesamten zivilisierten Welt) erfreulicherweise zur Norm geworden ist. Das soziale Klima einer Stadt wird nicht zuletzt durch solche Dinge bestimmt.

Ich frage mich, warum sich Adler auf die Bitte um eine Änderung dieser Preisgestaltung, die im wirtschaftlichen Gesamtvolumen einer gutverdienenden Agentur vollkommen marginal sein dürfte, in Schweigen hüllt.

Oder geht es Adler so schlecht, dass man sich Freikarten für Rollstuhlfahrerbegleitungen nicht leisten kann? Oder aber – und dieser Schluss drängt sich auf - sind Schwerbehinderte in den Konzerten von Adler nicht erwünscht, weil sie das gutbürgerliche Gesamtbild stören könnten?

Ich möchte abschließend noch bemerken, dass ich in dreißig Jahren mit einer schwerbehinderten Tochter, die mich nach Irland, Südafrika, Stuttgart, Regensburg und München führten, mit Berlins Konzertagentur Adler zum erstenmal etwas Derartiges erlebt habe.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Lore Brüggemann

Donnerstag, 8. März 2012

Raunende Reaktionäre

Gestern stand in der SZ unter dem Titel Zerbrochene Harmonie eine kleine Besprechung zu dem Buch „Dissonanz und Harmonie in Romantik und Moderne“ von Werner Keil (Detmolder Musikwissenschaftler).
Was der Rezensent Michael Stallknecht zusammenfassend berichtet, klingt hochinteressant: Keil entwickelt aus dem Musikbegriff der Romantiker, die "die Musik erstmals zu den Künsten statt, wie seit den antiken Pythagoräern üblich, zu den mathematischen Wissenschaften" zählten, die Theorie, dass durch diesen kategorischen Wechsel Musik einen grundsätzlich anderen Stellenwert bekam; sie sollte nicht mehr "die mathematische Ordnung des Kosmos ausdrücken, sondern Gefühle ausdrücken, das Subjektive ... statt des Überindividuellen, das Vagierende sstatt des Ewigen, das Dissonante statt des Konsonanten. Damit aber verfalle die Musik zunehmend selbst dem Irrationalismus, triumphiere die fortschreitende Emanzipation der Dissonanz (Schönberg) über die noch bei Kepler affirmierte Harmonie der Welt." Vor diesem Hintergrund sieht Keil auch die Beschäftigung vieler Komponisten der beginnenden Moderne mit gnostischen Bewegungen wie der Theosophie als Rückkehr der Mathematik in Form ihrer eigenen Parodie.
Nun beläßt der Rezensent es aber nicht bei seiner Zusammenfassung der interessanten Thesen dieses Buches. Vielmehr stößt er sich ganz offenbar an der kritischen Haltung des Autors gegenüber der klassischen Moderne. Zwar muss er zugestehen, dass das alles „formgeschichtlich …kaum widerlegbar“ sei, aber er unterstellt Keil, dass er im Verlauf seines Buches zunehmend einem „irrationalen und …ziemlich reaktionärem Raunen“ verfalle.
Den Vorwurf der Irrationalität und argumentativen Schwäche müßte der Rezensent sich allerdings selbst machen, da für seine Behauptung des irrationalen Raunens jegliche argumentative Beweisführung fehlt. Nebenbei bemerkt, sind die Begriffe „irrational“ und „Raunen“, ebenso wie die Wörter „dumpf“, „Stammtisch“, „verdruckst“, „schwurbeln“ Totschlagbegriffe aus der Mottenkiste linksliberaler Journalisten, die immer dann geschwungen werden, wenn man keine anderen Argumente parat hat.

So werde ich mir dieses reaktionäre Buch gern kaufen, ebenso wie ein in der Rezension erwähntes Buch von Alex Ross mit dem schönen Titel "The rest is noise", das der Rezensent als befremdlich bezeichnet, weil es die moderne Musik als „zwielichte Angelegenheit“ darzustellen wagt.

Solange die seit Schönberg und Adorno unantastbare musikalische Moderne ein Tabu bleibt und ihre Kritiker pauschal, ohne dass man sich die Mühe einer argumentativen Auseinandersetzung machen würde, als „raunende Reaktionäre“ verunglimpft werden, rechne auch ich mich weiterhin gern zu den reaktionären Raunern (bzw. "Raunerinnen").