Mittwoch, 5. März 2014

Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen … Zur PID, einem guten Buch und einer schlechten Rezension

„Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das denn allemal im Buche?“ (Georg Christoph Lichtenberg)

Ich habe wiederholt in meinem Blog zur Pränataldiagnostik, zum Lebensrecht Behinderter, zur Abtreibung und zur Präimplantationsdiagnostik (PID) Stellung genommen. Allen, die an diesem Themenkreis interessiert sind, möchte ich ein kleines Buch empfehlen, auf das ich durch eine extrem negative Rezension in der F.A.Z. aufmerksam geworden war:

Giovanni Maio: „Abschied von der freudigen Erwartung. Werdende Eltern unter dem wachsenden Druck der vorgeburtlichen Diagnostik“ (Edition Sonderwege bei Manuscriptum).

Die Rezension von Melanie Mühl wurde in der F.A.Z. vom 29.11.2013 unter dem Titel "Kein Recht aufs Kind? PID und die Folgen: Giovanni Maios Traktat" veröffentlicht; sie ist im Archiv dieser Zeitung nicht abrufbar.

Mir erschienen die angeblich „abstrusen Bemerkungen“ des Autors Giovanni Maio, die in der FAZ-Rezension als Belege für die Unerträglichkeit von Maios „Traktat“ angeführt wurden, keineswegs als abstrus, sondern als klug und nachdenkenswert, und so kaufte ich das kleine Bändchen und las es vor wenigen Tagen.

Mein erster Eindruck wurde bei der Lektüre aufs Schönste bestätigt: Das Buch des Medizinethikers Giovanni Maio ist eine brillante Auseinandersetzung mit dem oben genannten Themenkreis und in seiner glasklaren Sprache, der konsistenten, logischen Argumentation und der intelligenten Einbeziehung aller humanen Aspekte der jeweils behandelten Thematik absolut überzeugend.

Dass die FAZ-Rezensentin in kindischer Manier dieses Buch am liebsten „in den Papierkorb“ werfen würde, liegt möglicherweise daran, dass sie spürt, dass sie ihre eigenen Auffassungen zu PID, Abtreibung und künstlichen Befruchtung aufgrund von Maios Ausführungen eigentlich komplett revidieren müsste – und das wäre dann doch sehr, sehr unbequem.

So regt sie sich lieber in unqualifizierter Weise auf und unterstellt beispielsweise dem Autor, dass er die „künstliche Befruchtung … als frankensteinhafte, jeglichen Gefühls beraubte Herstellungsmethode“ beschreiben würde. Abgesehen davon, dass keine Herstellungsmethode der Welt Gefühle zu haben vermag und somit dieser auch nicht beraubt werden kann, ist die wirre Polemik der Rezensentin wohl nur auf dem Boden einer kompletten philosophischen und ethischen Ahnungslosigkeit möglich. Frau Mühl weiß offensichtlich nicht, dass man Grundsatzfragen nicht mit Emotionen und dem Rekurs auf „tragische Einzelschicksale“ lösen kann.

Maio tut in dem besagten (in meinen Augen besonders brillanten) Kapitel über die Reproduktionsmedizin nichts anderes, als deren Fragwürdigkeit mit philosophischer Schärfe zu durchleuchten und vom Aspekt der „Logik des Herstellens“ her einer fundierten Kritik zu unterziehen, indem er folgende fünf Teilaspekte abhandelt: 1. Herstellen heißt Beherrschen, 2. Herstellen heißt Denken in Zweck-Mittel-Relationen, 3. Herstellen heißt Festlegen auf das Resultat, 4. Herstellen heißt eine Rücknahmepflicht eingehen, 5. Herstellen heißt Verdinglichen.
Ich erlaube mir, aus dem letztgenannten Abschnitt zu zitieren:

Wenn wir davon ausgehen, dass in der Reproduktionsmedizin nicht der Zeugungsgedanke, sondern eher der Herstellungsgedanke vorherrschend ist, dann haben wir damit implizit bereits akzeptiert, dass das Produkt des Herstellens nicht etwas Unverfügbares ist, sondern als Produkt wird es zu einer verfügbaren Sache gemacht. Es gibt im Produktionsprozess einen Produzenten Mensch und ein Produkt Mensch und eine Beziehung der Herrschaft des Produzenten über das Produkt, und zwar einer Herrschaft, die al eine totale Verfügungsherrschaft bezeichnet werden muss. Das ist nur möglich, weil dem produzieren selbst schon eine Tendenz zur Verdinglichung inhärent ist. Das Produkt wird zur bloßen Sache, zum Objekt der technischen Berechnung. Das, was vermeintlich hergestellt wird, verliert geradezu automatisch seinen inneren Wert und wird durch die gedankliche Überformung des Herstellungsgedankens zu einer Sache mit einem bloß instrumentellen Wert. Das Produkt menschliches Leben steht auf diese Weise dem Menschen sogar wörtlich zur Verfügung, zur Verfügung in dem Sinne, dass es sowohl optimiert als auch ausgemustert werden darf, weil es im Kontext des Produzierens nichts gibt, was Staunen oder gar Ehrfurcht ermöglichen könnte. Die Achtung vor dem Leben wird ersetzt durch die Qualitätsprüfung. Und dies ist nur möglich, weil das Leben selbst durch den Produktionszusammenhang zur Sache erklärt worden ist.“

Klarer und überzeugender kann man die Fragwürdigkeit der künstlichen Befruchtung nicht darstellen. Ebenso klar und überzeugend sind alle anderen Kapitel, und es wäre wunderbar (wird aber wohl nie passieren), wenn ein solches Buch zum Beispiel zur Pflichtlektüre im Ethikunterricht erklärt oder wenigstens jedem Politiker auf den Schreibtisch gelegt würde, der an der Gesetzgebung zur PID mitgewirkt hat.