Samstag, 16. Mai 2015

Kindheitspädagogik

Die gute alte Kindergärtnerin gibt es nicht mehr. Der Job ist anspruchsvoll geworden, denn es geht um die sogenannte "frühkindliche Bildung":
„Gute frühkindliche Bildung ist einer der entscheidenden Faktoren für mehr Chancengleichheit. Elementare Bestandteile einer umfassenden Bildung sind neben altersgerechter Sprach- und Wissensvermittlung, Angebote von früher Musik-, Kunst- und Bewegungserziehung sowie die Vermittlung von sozialen Kompetenzen und Werten.“(Das Bundesministerium für Bildung und Forschung).
Wohlgemerkt - es sind nicht etwa Kinder ab drei oder vier, die gebildet werden sollen, denn: „Frühkindliche Bildung beinhaltet die 'Bildung' von Kindern ab Geburt bis ins Vorschulalter.“ (Wikipedia, Schlagwort „Frühkindliche Bildung“)

Deshalb wollen die Erzieherinnen auch eine höhere Gehaltsstufe, und deshalb kann man diesen Beruf jetzt auch über einen Bachelor-Studiengang erlernen. Dann darf man sich Kindheitspädagoge nennen, und es ist schön, dass die Säuglinge in den Krippen und die Kleinkinder zwischen eins und drei Jahren in den Kitas jetzt von Fachleuten mit Fachwissen erzogen werden. Denn die Mütter sollen  Geld verdienen, damit sie genügend Steuern zahlen und die teuren Fachfrauen- und männer in den Kitas bezahlt werden können.

Was hat meine Generation doch für Pech gehabt, die wir nur in Ausnahmefällen unsere frühkindliche Bildung in Kindergärten bekommen durften und stattdessen von kompletten Erziehungslaien, nämlich unseren Eltern, erzogen wurden!
 Aber freuen wir uns doch einfach über den Fortschritt, der die Universitäten und die Kitas füllt.




Dienstag, 20. Januar 2015

„Charlie Hebdo“ und religiöse Toleranz

Seit nun schon über einer Woche tobt, ausgelöst durch das Attentat auf die „Charlie-Hebdo“-Redaktion, eine leidenschaftliche Diskussion um Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Toleranz und Intoleranz. Erwartbar und verständlich war das Entsetzen über den islamistischen Gewaltakt, und so wurde, außer in  muslimischen Ländern, weder von Politikern noch Publizisten Zweifel am Sinn antiklerikaler Karikaturen geäußert, die ja  im Zentrum der Arbeit von „Charlie Hebdo“ standen und weiterhin stehen.
Nun hat sich aber der Papst eingemischt und gefordert, dass religiöse Satire ihre Grenzen haben müsse, wobei seine Äußerung, dass den, der seine Mutter beleidigte, sein „Faustschlag erwarte“, einer gewissen Komik nicht entbehrt und von Jürgen Kaube (und anderen) sogleich gerügt wurde. Doch immerhin wagt man nun  hier und da in Leserbriefen oder auch in sehr, sehr vorsichtigen Kommentaren darüber nachzudenken, was Toleranz in Bezug auf religiöse Überzeugungen bedeuten könnte.
Etwas tolerieren heißt, eine fremde Meinung, Lebensweise, Sitte, Religion gelten zu lassen, ohne sie herabzusetzen, zu bekämpfen oder verächtlich zu machen. Dies impliziert keineswegs, dass das fremde Tolerierte in den eigenen Werte- oder Traditionskanon aufgenommen werden, bzw. dass die fremden Werte verstanden und respektiert werden müssten. Jürgen Kaube zitiert in diesem Zusammenhang Rémi Brague, der gesagt hat: „Kein Glaube verdient Respekt, auch meiner nicht. Überzeugungen sind Dinge, Respekt kann es nur für Menschen geben.“
Diese säuberliche Trennung von Glaubensinhalt und Gläubigem greift allerdings nur, wenn die Respektverweigerung für den Glauben sich nicht zu offener Respektlosigkeit, bzw. Verhöhnung des Glaubens steigert. Sobald dies der Fall ist, wird sie fragwürdig. Denn dabei wird übersehen, dass ein religiös orientierter Mensch sich seinen jeweiligen Glaubensinhalt im Akt des Glaubens als geistiges Lebenszentrum aneignet. Somit trifft jede Verhöhnung des Glaubensinhalts auch den Gläubigen als Person. Der von Rémi Brague geforderte Respekt  für Menschen wird also durchaus verletzt, wenn deren jeweilige Glaubensinhalte durch vulgäre Karikatur im Stil von „Charlie Hebdo“ verhöhnt werden.
Ja und, werden die meisten sagen, der fromme Muslim/Katholik/Jude braucht die Karikatur doch nicht anzuschauen!
Dieses Argument greift aber zu kurz. Die Publikation in einem überall erhältlichen Magazin ist, wie ja schon der Begriff der Publikation sagt, eine öffentliche Äußerung und ein gezielter, von der Intention her aggressiver Akt gegen alle, die dem Glauben anhängen, der durch die Karikatur herabgewürdigt wird.

Es fragt sich, was der Sinn solcher Karikaturen sein soll. Für wen stellen Karikaturen über Mohammed oder den Papst eine Notwendigkeit dar? Welchen gesellschaftlichen oder ästhetischen Zweck können sie erfüllen? 

Dienstag, 28. Oktober 2014

"Social Freezing"

Seit zwei Wochen wird erregt, polemisch oder gar hysterisch über eine neue Form der Geburtenplanung diskutiert, das neuerdings von Facebook und Apple ihren Mitarbeiterinnen angebotene sogenannte „Social Freezing“, das Einfrieren von menschlichen Eizellen zum Zwecke ihrer späteren Befruchtung,-  dann, wenn es frau/mann mal „passt“.

Auch Günther Jauch ließ  dieses Thema am Sonntagabend diskutieren, wobei die Zusammensetzung seiner Talk-Runde zu wünschen übrig ließ: Neben einer wenig überzeugenden Befürworterin des „Social Freezing“ gab es als Befürworter noch einen Arzt aus Bregenz zu bestaunen, der nicht einen Satz fehlerfrei zu Ende brachte (Originalton: „Meiner Meinung… also wos i jetzt weiß“; anscheinend hatte er Probleme damit, „meiner Meinung…“ korrekt zu benutzen) und nur Werbe-Spruchbänder über sein Eizellen-Tiefkühl-Labor und die medizinische Unbedenklichkeit des „Social Freezings“ verkündete. Vernünftig erschienen mir Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist, und die beiden anderen eingeladenen Frauen. Beide auf natürliche Weise erst recht spät Mutter geworden, lenkten sie immerhin den Fokus auf das, was eigentlich Not täte: nämlich einen gesellschaftlichen Wandel, so dass längere Erziehungspausen berufstätiger Mütter und unproblematische Berufsrückkehr selbstverständlich würden und Familie auch in der Arbeitswelt als bestimmender Faktor für die Struktur der Arbeitsbedingungen gälte..

Es ist ganz erstaunlich, welche hämischen, ja fast hasserfüllten Kommentare diese Diskussion in den Printmedien hervorrief. Die Online-Portale von Spiegel, Tagesspiegel und Focus bewerteten  unisono Jauchs Sendung als sexistisch, inkompetent und frauenfeindlich, und nur Uta Rasche in der FAZ.net fand etwas maßvollere Töne und sagte Vernünftiges zu den negativen Aspekten dieser Art von Familienplanung. Allerdings konnte auch sie sich nicht verkneifen, darüber zu klagen, dass Männer wie Jauch und Yogeshwar, eben weil sie Männer seien, es ja „leicht“ hätten, die „Angebote von Apple und Facebook….für unmoralisch zu halten“, und sie fragte, wieso es in Jauchs (oder Yogeshwars) Beruf „keine Frau mit vier Kindern“ gebe.

Dazu ist folgendes zu sagen: Es gibt auch im Fernsehen und in anderen medialen Berufen – und generell in allen anspruchsvollen Berufen - Frauen, und zwar erfolgreiche Frauen, mit mehr als einem Kind (zum Beispiel Anke Engelke oder Petra Gerster). Dass Jauch bzw. Yogeshwar erfolgreich sind, liegt nicht primär an ihrem Geschlecht. Es gibt nicht nur tausende von Frauen, sondern auch von Männern, die gern ebenso erfolgreich wären, es aber nicht sind, weil die Begabung, der Mut und diverse andere Fähigkeiten  nicht ausreichen. Vor allem aber wäre es fatal für die Möglichkeit objektiver Wahrheitsfindung im gesellschaftlichen Diskurs, wenn in Zukunft die Argumente primär danach bewertet würden, ob sie von einem Mann oder einer Frau kommen. Ein Mann ist ja nun nicht a priori voreingenommen, nur weil er ein Mann ist, und dies gilt, wie ich hoffe, auch für Frauen (obwohl man angesichts der oftmals schrillen und polemischen Töne, die aus der Gender-Ecke kommen, an der Objektivierungsfähigkeit mancher emanzipatorisch beflügelter Damen zweifeln möchte).

Nun zum Thema.
Was in der Diskussion fast komplett fehlte, waren die Kinder. Sie sind offenbar Nebensache, wenn es um Karriere geht. Wie geliebt, wie angenommen fühlt sich ein Kind, wenn es erfährt, dass es jahrelang nicht erwünscht war und aus einer tiefgefrorenen Eizelle entstand, die viel "älter" gewesen ist  als der eigentliche Entstehungs-Zeitpunkt des Fötus? – Wie oft wird sich dieses Kind fragen, ob es denn jetzt in das Leben seiner Karriere-Mutter passt. Und wie sehr engt das Durchplanen des eigenen Lebens bis in den zentralen Bereich der Lebensweitergabe die persönliche Freiheit ein, die eben mehr ist als Karriere!  In meinen Augen ist diese angeblich selbstbestimmte Nachwuchsplanung das Gegenteil von Freiheit: Anstatt offen zu sein für das Leben in allen Facetten, plant man sogar das Kinderkriegen durch wie eine Dinnerparty. Man verabsolutiert die gegenwärtige Perspektive, die einseitig von der Karriere geformt ist, und verlängert sie in eine Zukunft, von der man nicht weiß und nicht wissen kann, wie sie einen selbst verändern wird. Denn ein Kind zu bekommen und dafür Verantwortung zu übernehmen, verändert eine Frau, und zwar erheblich. Es kann also durchaus passieren, dass Beruf und Karriere dann plötzlich in anderem Licht erscheinen und anders bewertet werden als in der kinderlosen Karriere-Zeit.

Dieses die Zukunft und die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten  einseitig verengende Planen ist ja übrigens auch in einem anderen Bereich der menschlichen „Reproduktion“ gang und gäbe, nämlich bei der pränatalen Diagnostik. Hier trifft man tödliche Entscheidungen, wenn ein Fötus von einer Behinderung bedroht zu sein scheint, ohne zu wissen, wie man die reale Situation mit einem behinderten Kind meistern und welche Kräfte sie freisetzen würde – so dass dieses neue Leben, so unvorhersehbar wie es war, einen neuen und tiefen Sinn erhielte. Ähnlich wie in der pränatalen Diagnostik, wird auch mit dem Eizellen-Einfrieren eine Technik, die ursprünglich Krankheit verhindern, bzw. kranken Frauen helfen sollte, auf gesunde Frauen angewendet, die somit (darauf wies auch Ranga Yogeshwar hin) pathologisiert werden. Eine weitere Parallele zur pränatalen Diagnostik ist beim „Social Freezing“ gleichfalls zu befürchten: Was jetzt freiwillige Option ist, könnte irgendwann zum sozialen Druck und dann schließlich zur Pflicht werden, so wie heutzutage junge werdende Mütter, die ein möglicherweise behindertes Kind austragen möchten, von Ärzten und Gesellschaft gleichermaßen unter extremen Druck gesetzt werden.

Ein Letztes: Verschiedentlich wurde kritisiert, dass Yogeshwar und andere „die Moralkeule“ schwängen, bzw. dass das Angebot von Facebook „unmoralisch“ sei. Mit Moral hat dieses Thema nichts zu tun. Selbstverständlich hat der gesamte Bereich der Reproduktionsmedizin und der pränatalen Diagnostik tiefgreifende ethische Aspekte. Entscheidender ist es, dass die natürlichen anthropologischen Gegebenheiten willkürlich verändert oder sogar ausgehebelt werden. Das hat medizinische, psychologische und soziale Auswirkungen, die wir noch gar nicht abschätzen können. Dringend geboten wäre eine Rückbesinnung auf die natürlichen Voraussetzungen der menschlichen Reproduktion. Es ist schön und sinnvoll, wenn neues Leben aus einer Handlung entsteht, die  wir als „Liebesakt“ oder „Liebe machen“ bezeichnen. Wenn der Aspekt der Lebenserzeugung, der dabei immer mitschwingt, in einen der Gegenwart des Liebesakts sehr ferngerückten technischen Prozess verlagert wird, dürften es die Liebe - und mit ihr die Lust – in Zukunft ziemlich schwer haben.

Noch ein persönliches Wort zum Schluss:
Ich selbst bin  promovierte Germanistin, habe vier Kinder großgezogen, von denen die jüngste Tochter schwer behindert ist, und mit keiner Karriere der Welt hätte ich so viel lernen und mich selbst so sehr weiterentwickeln können wie im Leben mit meinen Kindern und meiner behinderten Tochter Clara.









Montag, 7. April 2014

Alles paletti mit der Reproduktionsmedizin

Mein letzter Post beschäftigte sich aus Anlass einer Rezension in der F.A.Z. mit der Thematik der pränatalen Diagnostik, die von dem Verfasser des rezensierten Buches, Giovanni Maio, mit bewundernswerter Klarheit, Umsicht und Gründlichkeit diskutiert wird.

In diesem Buch und in weiteren Publikationen setzt sich Maio auch kritisch mit der Reproduktionsmedizin auseinander. Solche  fundierte Kritik von medizinethischer Seite scheint jedoch in einer der neuesten Publikationen zu diesem Thema – dem Buch „Kinder machen“ von Andreas Bernard –überhaupt nicht reflektiert worden zu sein, wie zwei Rezensionen (in der F.A.Z. von 28.03.2014 und der F.A.S. vom 30.03.2014) nahelegen.

Während die erste, relativ knappe Rezension von Martina Lenzen-Schulte noch verhalten kritisch ist, überschüttet Nils Minkmar  in der Sonntagszeitung der Frankfurter Allgemeinen (30.03.2014) dasselbe Buch auf einer ganzen großen Zeitungsseite mit einem überschwänglichen Loblied, und zwar unter dem pathetischen, an eine Sonntagspredigt erinnernden Titel „Habt keine Angst!“

Wovor sollen wir keine Angst haben, fragt sich der Leser zunächst, bis ihm allmählich klar wird, dass er keine Angst vor den neuen Methoden der Kinderherstellung (wie der sogenannten künstlichen Befruchtung, der Leihmutterschaft, der Insemination durch anonyme Samenspender etc.) haben soll. Denn die schöne neue Welt, in der die Zeugung von der Sexualität entkoppelt und zum technischen Herstellungsprozess wird, an dessen Ende das Produkt Kind steht, ist laut Bernard und Minkmar von ungemein heiteren und fröhlichen Menschen besiedelt. Und es wird noch besser: Die neuen familiären Gruppierungen, die mit Hilfe der Reproduktionstechnik entstehen, bedeuten nicht weniger als die Rettung des Konzepts Familie; „wer sie (die Familie) erhalten will, muss sie radikal verändern“, verkündet Nils Minkmar im Untertitel seines Artikels. Mit anderen Worten: Die Familie kann nur erhalten werden, wenn sie sich von der traditionellen Form der genetischen Verwandtschaft verabschiedet und  die neuen Kinderherstellungsmethoden bereitwillig umarmt.

Was Nils Minkmar, bzw. Andreas Bernard als Argumente für diese steile These vorlegen, hält einer genauen Betrachtung nicht stand. Das fängt schon bei der einleitenden Anekdote an, in der eine enge Vater-Sohn-Beziehung zwischen einem „Comedian“ und seinem Vater als ausschließlich auf der „emotionalen Kreativität des Austauschs“ basierend beschrieben wird (der Sohn hatte seine Gags nur verwendet, wenn der Vater über sie lachte). Nur dieser Austausch,  nicht die „Blutsverwandtschaft“ ließ den Sohn beim Tod des Vaters trauern, behauptet Nils Minkmar. Woher er dies so genau weiß, verrät er dem Leser allerdings nicht. Offenbar kommt ihm erst gar nicht der Gedanke, dass die „Blutsverwandtschaft“ und die darauf beruhende Vater-/Sohnesliebe immerhin auch ein fabelhafter Nährboden für den engen  kreativen Austausch sein könnte, wobei außerdem zu fragen wäre, ob sich die Trauer des Sohnes nur auf den funktionalen Nutzen des Vaters als Gag-Tester bezogen hat oder ob es sich doch auch um eine grundsätzlichere, nicht an „kreativem Austausch“ und ähnlichen sozialen Handlungen festzumachende Trauer um den eigenen Vater gehandelt hat, dem sich der Sohn nicht nur psychisch, sondern auch physisch verwandt wusste.

In diesem Stil geht es weiter - oberflächliche Anekdoten reihen sich an unerlaubte Kurzschlüsse aus nur halb oder gar nicht verstandenen historischen, literarischen und theologischen Quellen. Die ethischen Dimensionen der technischen Herstellung von menschlichen Föten werden  erst gar nicht in den Blick genommen. So wird auch nicht diskutiert, dass mit der technischen Produzierbarkeit menschlichen Lebens dieses zum Produkt mit Warencharakter wird, dessen Eigenschaften der Hersteller nach den Wünschen des Käufers festlegt und das der Käufer bei fehlerhafter Herstellung oder nichtgewünschten Eigenschaften ablehnen kann. Es ist eben keineswegs nur ein Lifestyle-Problem, wenn die Entstehung eines neuen Menschen ökonomisiert wird. (Parallel damit zu sehen ist natürlich auch die Ablehnung „fehlerhafter“ Föten durch die Abtreibung und generell die seit Jahrzehnten geübte Abtreibungspraxis, die werdenden Eltern ermöglicht, ein Kind, das nicht in ihren Lebensplan, sprich in ihre Ökonomie, passt, töten zu lassen.)

Wie steht es nun mit der zentralen Argumentation des Autors, nämlich dem Verweis darauf, dass „Familie“ vor ihrer Verengung auf die bürgerliche, genetisch primär untereinander verwandte Kleinfamilie ein weitgefasstes Konzept mit angeblich „anderen“ Entstehungskomponenten als genetischen gewesen sei? Als Argument für die technische Produzierbarkeit der Familie ist dieser Rekurs auf historische Familienformen ebenso  ungeeignet wie die einleitende Anekdote von der ausschließlich kreativ-sozialen Vater-Sohn-Beziehung. Denn auch diese größeren Familiengruppierungen, die durch Scheidung, Wiederverheiratung, Aufnahme elternloser Kinder etc. entstanden, waren, ebenso wie die Kleinfamilie, durch primäre verwandtschaftliche Beziehungen geprägt, in deren Zentrum die Zeugung von Kindern durch Mann und Frau stand. Und dass die Abwehr gegenüber dem Fremden erst ein Merkmal der bürgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts gewesen sein soll, ist schlicht falsch; sie war und ist eine notwendige Bedingung bei der Herausbildung von Familien, Großfamilien, Sippen und Gruppen (siehe z.B. Irenäus Eibl-Eibesfeldts Klassiker zur Humanethologie, „Die Biologie des menschlichen Verhaltens“).

Die Beispiele, mit denen Bernard seine Argumentation hier untermauert, sind schräg oder auch irrelevant: Dass die Brüder Grimm die „böse Mutter“ in einer späteren Auflage in eine „Stiefmutter“ verwandelten, ist kein Beweis für die der bürgerlichen Kleinfamilie unterstellte Abwehr gegenüber dem Fremden, das als Bedrohung empfunden wird; das Motiv für diese Änderung ist vielmehr in psychologischer Rücksichtnahme auf die Zielgruppe der „Kinder- und Hausmärchen“ zu sehen, nämlich die Kinder.

Nicht nur schräg, sondern geradezu lächerlich ist Bernards Rekurs auf die Bibel, die angeblich mit der „heiligen Familie“ eine „anders“ zusammengesetzte Familie als vorbildlich hinstelle. Die fromme Legende der Jungfrauengeburt und der Zeugung Christi durch den Heiligen Geist ist die christliche Umformung des viel älteren Mythos der Menschwerdung eines Gottes; wenn die katholische Kirche aus diesem mythischen   Kern eine „heilige Familie“ fabrizierte, so ist die Verehrung dieses erbaulichen Märchens mit Sicherheit nicht als Bekenntnis zu einer nicht genetischen oder gar durch Reproduktionsmedizin entstandenen Familiengruppierung zu sehen.

Bei den Beschreibungen all der glücklichen Retortenfamilien und der netten, auf dem einträglichen Reproduktionsmarkt beschäftigten Menschen, die Bernard weltweit besucht hat, zeigt sich vor allem eines: die Unzulänglichkeit einer rein journalistisch geprägten Darstellungsweise, die auf eine methodische Grundlagendiskussion verzichtet und per se zur Affirmation all dessen tendiert, was der Autor sieht oder auch sehen will. Der Tenor dieser Erzählungen von all den fröhlichen Menschen, die ihr „spießiges“ Familienglück genießen, dem „fröhlich-schrillen Merchandising der größten kalifornischen Samenbank“, dem „fröhlichen“ Großvater einer angeblich besonders musikalischen Enkelin, die durch künstliche Befruchtung nach einem Konzert entstand, ist oberflächlich, wenn nicht läppisch. Man fühlt sich an die düstere Vision Aldous Huxleys in „Brave New World“ erinnert, in der ja auch die Menschen beständig und dauerhaft fröhlich  sind.

Ergo: Das Fazit von Nils Minkmar im Subtitel zu seiner Rezension, dass nämlich die Familie „radikal verändert“ werden müsse, wenn sie erhalten bleiben soll, ist ebenso falsch und unhaltbar wie der gesamte Artikel und wie das von ihm bejubelte Buch seines Münchner Kollegen Andreas Bernard (Redakteur der SZ).

Es ist schade, dass Martina Lenzen ihre kritischen Einwände gegen Bernards Buch nicht genauer formuliert, sondern nur recht vage auf die „massive Kritik  von Ärzten“ an der künstlichen Zeugung von Mehrlingen verweist und zu der seit Jahren existierenden medizinethisch-philosophischen Diskussion der  Reproduktionsmedizin nicht mehr zu sagen hat, als dass in Bernards Buch der Eindruck dominiere, „dass die Kritik an der Reproduktionsmedizin vornehmlich von Weltanschauungen“ herrühre.


Offenbar haben weder Andreas Bernard noch Nils Minkmar sich die Mühe gemacht, Autoren wie Giovanni Maio – der keineswegs der einzige fundierte Kritiker der Reproduktionsmedizin ist – zur Kenntnis zu nehmen. Es ist ja auch viel bequemer und Erfolg versprechender, den  allgemeinen Trend zur Leugnung aller anthropologischen Konstanten und biologischen Fakten mitzumachen, der den Frauen das Muttersein, den Kindern die Kindheit und den Familien die Gemeinsamkeit stiehlt. 

Mittwoch, 5. März 2014

Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen … Zur PID, einem guten Buch und einer schlechten Rezension

„Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das denn allemal im Buche?“ (Georg Christoph Lichtenberg)

Ich habe wiederholt in meinem Blog zur Pränataldiagnostik, zum Lebensrecht Behinderter, zur Abtreibung und zur Präimplantationsdiagnostik (PID) Stellung genommen. Allen, die an diesem Themenkreis interessiert sind, möchte ich ein kleines Buch empfehlen, auf das ich durch eine extrem negative Rezension in der F.A.Z. aufmerksam geworden war:

Giovanni Maio: „Abschied von der freudigen Erwartung. Werdende Eltern unter dem wachsenden Druck der vorgeburtlichen Diagnostik“ (Edition Sonderwege bei Manuscriptum).

Die Rezension von Melanie Mühl wurde in der F.A.Z. vom 29.11.2013 unter dem Titel "Kein Recht aufs Kind? PID und die Folgen: Giovanni Maios Traktat" veröffentlicht; sie ist im Archiv dieser Zeitung nicht abrufbar.

Mir erschienen die angeblich „abstrusen Bemerkungen“ des Autors Giovanni Maio, die in der FAZ-Rezension als Belege für die Unerträglichkeit von Maios „Traktat“ angeführt wurden, keineswegs als abstrus, sondern als klug und nachdenkenswert, und so kaufte ich das kleine Bändchen und las es vor wenigen Tagen.

Mein erster Eindruck wurde bei der Lektüre aufs Schönste bestätigt: Das Buch des Medizinethikers Giovanni Maio ist eine brillante Auseinandersetzung mit dem oben genannten Themenkreis und in seiner glasklaren Sprache, der konsistenten, logischen Argumentation und der intelligenten Einbeziehung aller humanen Aspekte der jeweils behandelten Thematik absolut überzeugend.

Dass die FAZ-Rezensentin in kindischer Manier dieses Buch am liebsten „in den Papierkorb“ werfen würde, liegt möglicherweise daran, dass sie spürt, dass sie ihre eigenen Auffassungen zu PID, Abtreibung und künstlichen Befruchtung aufgrund von Maios Ausführungen eigentlich komplett revidieren müsste – und das wäre dann doch sehr, sehr unbequem.

So regt sie sich lieber in unqualifizierter Weise auf und unterstellt beispielsweise dem Autor, dass er die „künstliche Befruchtung … als frankensteinhafte, jeglichen Gefühls beraubte Herstellungsmethode“ beschreiben würde. Abgesehen davon, dass keine Herstellungsmethode der Welt Gefühle zu haben vermag und somit dieser auch nicht beraubt werden kann, ist die wirre Polemik der Rezensentin wohl nur auf dem Boden einer kompletten philosophischen und ethischen Ahnungslosigkeit möglich. Frau Mühl weiß offensichtlich nicht, dass man Grundsatzfragen nicht mit Emotionen und dem Rekurs auf „tragische Einzelschicksale“ lösen kann.

Maio tut in dem besagten (in meinen Augen besonders brillanten) Kapitel über die Reproduktionsmedizin nichts anderes, als deren Fragwürdigkeit mit philosophischer Schärfe zu durchleuchten und vom Aspekt der „Logik des Herstellens“ her einer fundierten Kritik zu unterziehen, indem er folgende fünf Teilaspekte abhandelt: 1. Herstellen heißt Beherrschen, 2. Herstellen heißt Denken in Zweck-Mittel-Relationen, 3. Herstellen heißt Festlegen auf das Resultat, 4. Herstellen heißt eine Rücknahmepflicht eingehen, 5. Herstellen heißt Verdinglichen.
Ich erlaube mir, aus dem letztgenannten Abschnitt zu zitieren:

Wenn wir davon ausgehen, dass in der Reproduktionsmedizin nicht der Zeugungsgedanke, sondern eher der Herstellungsgedanke vorherrschend ist, dann haben wir damit implizit bereits akzeptiert, dass das Produkt des Herstellens nicht etwas Unverfügbares ist, sondern als Produkt wird es zu einer verfügbaren Sache gemacht. Es gibt im Produktionsprozess einen Produzenten Mensch und ein Produkt Mensch und eine Beziehung der Herrschaft des Produzenten über das Produkt, und zwar einer Herrschaft, die al eine totale Verfügungsherrschaft bezeichnet werden muss. Das ist nur möglich, weil dem produzieren selbst schon eine Tendenz zur Verdinglichung inhärent ist. Das Produkt wird zur bloßen Sache, zum Objekt der technischen Berechnung. Das, was vermeintlich hergestellt wird, verliert geradezu automatisch seinen inneren Wert und wird durch die gedankliche Überformung des Herstellungsgedankens zu einer Sache mit einem bloß instrumentellen Wert. Das Produkt menschliches Leben steht auf diese Weise dem Menschen sogar wörtlich zur Verfügung, zur Verfügung in dem Sinne, dass es sowohl optimiert als auch ausgemustert werden darf, weil es im Kontext des Produzierens nichts gibt, was Staunen oder gar Ehrfurcht ermöglichen könnte. Die Achtung vor dem Leben wird ersetzt durch die Qualitätsprüfung. Und dies ist nur möglich, weil das Leben selbst durch den Produktionszusammenhang zur Sache erklärt worden ist.“

Klarer und überzeugender kann man die Fragwürdigkeit der künstlichen Befruchtung nicht darstellen. Ebenso klar und überzeugend sind alle anderen Kapitel, und es wäre wunderbar (wird aber wohl nie passieren), wenn ein solches Buch zum Beispiel zur Pflichtlektüre im Ethikunterricht erklärt oder wenigstens jedem Politiker auf den Schreibtisch gelegt würde, der an der Gesetzgebung zur PID mitgewirkt hat.

Mittwoch, 2. Oktober 2013

König von Deutschland

Der König – pardon, der Bundespräsident – bestellt zu sich ein, und alle bedeutenden (oder sich für bedeutend haltenden) Entscheidungsträger der BRD kommen. Sie kommen, denn  es gibt Wichtiges zu besprechen. Die neue Regierung muss gebildet werden, und der Bundespräsident hat die Entscheidungsbefugnis in dieser Sache – äh, nein, ich habe mich vertan; er hat sie ja gar nicht. Wie kommt es denn dann, dass er „zu sich einbestellt“, und keiner der Einbestellten bleibt einfach zu Hause?

Wir haben eben keinen besseren König. Und geben Sie es zu, auch Sie sind von Joachim Gauck beeindruckt. Keiner kann so schön feierlich nach oben, oder wenn es die anstehende Festivität, Gedenkstunde, Trauerfeier etc.pp. erfordert, nach unten gucken und dabei die Mundwinkel dramatisch in ungeahnte Tiefen verrenken. So traurig hat noch kein Bundespräsident geguckt. Und er läßt sich auch keine Gelegenheit entgehen, seine Traurigkeitskompetenz unter Beweis zu stellen. Zum Beispiel beim Begräbnis eines, wie Herr Schirrmacher in der F.A.Z. uns einhämmerte, „sehr großen Mannes“, des Starkritikers Marcel Reich-R.. Da guckte Joachim Gauck ungefähr so:






Das war fast noch besser als bei der Gedenkfeier in Oradour. Alle waren erschüttert, wie wahnsinnig traurig und bewegt der  Ex-Pfarrer aus der Ex-DDR da war. Fast wäre er ohnmächtig geworden. Schade, dass dies nicht geklappt hat, es wäre noch toller gewesen als alles, was wir bisher an öffentlich ausgestellter Verzweiflungsdrastik erleben durften.

Es bleibt zu hoffen, dass uns dieser Präsident – der erste, der die Bedeutung seines Faches – ich meine, seines Amtes – in voller Größe, Breite, Tiefe und Höhe erkannt hat, noch sehr sehr lange erhalten bleibt. Hoch lebe der König!
 


Donnerstag, 23. Mai 2013

Baselitz und Kandinsky



Gestern wagte Julia Voss in der FAZ einen kritischen Artikel über einen Großfürsten der deutschen Gegenwartsmalerei, Georg Baselitz (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/das-phaenomen-georg-baselitz-am-ende-der-schlachten-12189033.html). Sie zeigte mit großer Genauigkeit und Schärfe, dass Baselitz seine Stilisierung als Außenseiter von Anfang an mit List und Geschäftssinn aufgebaut und sich zugleich sehr komfortabel im Kunstestablishment eingerichtet hat.
Julia Voss unterließ es allerdings, nach dem künstlerischen Wert der Werke zu fragen bzw. ihn  in Frage zu stellen, vielleicht wohlweislich, da dies dann eben doch zu viel des Kratzens an der bislang unhinterfragten Bedeutung dieses Malers wäre, zumal es unter den betuchteren Lesern der F.A.Z. mit Sicherheit einige geben dürfte, die einen Baselitz über dem Sofa oder als Leihgabe in einem Museum hängen haben.
Ich meine allerdings, dass es höchste Zeit wäre, nachzuprüfen, was denn nun eigentlich so bemerkenswert sein soll an den Gemälden von Georg Baselitz, alias Hans-Georg Kern, geboren in Deutschbaselitz in der Oberlausitz.
Das Erkennungsmerkmal von Baselitz ist allgemein bekannt: Er dreht seine gegenständlichen Bilder auf den Kopf. Er selbst hat einmal dazu bemerkt, dass ihm dies erlaube, weiterhin das zu malen, was ansonsten „verboten“ sei. Mit anderen Worten, er „darf“ weiterhin gegenständlich malen, weil der Gegenstand bei ihm durch das Auf-den-Kopf-Stellen des Bildes angeblich verfremdet wird, bzw. die sogenannten Sehgewohnheiten des Betrachters irritiert werden. Julia Voss zitiert in diesem Zusammenhang eine Äußerung von Werner Hofmann (ehemaliger Hamburger Kunsthallendirektor), der Baselitz’ Kunstgriff mit Kandinskys Entdeckung der abstrakten Kunst vergleicht.
Es ist aber ein fundamentaler Unterschied, ob man, wie Kandinsky, entdeckt, dass ein Bild ohne den Gegenstand eigene ästhetische Qualitäten hat, die, von den Vorprägungen und Konnotationen des Gegenstands befreit, ein künstlerisches Eigenleben entwickeln, oder ob man wie Baselitz den Gegenstand beibehält und einfach nur dadurch verfremdet, dass man ihn auf den Kopf stellt. Durch diesen Trick entsteht nämlich keineswegs eine neue ästhetische Qualität; vielmehr bleibt ja der Gegenstand als solcher erhalten und erkennbar und verhindert, dass das Bild unabhängig von ihm als abstraktes Gefüge mit einer eigenen Struktur erscheint.
Das ursprünglich eventuell sogar mit „malerischem Auge“ konzipierte Gemälde wird durch den billigen Gag des Auf-den-Kopf-Stellens verhöhnt und zerstört, es wird aber nichts Neues an seine Stelle gesetzt. Werner Hofmanns Vergleich mit Kandinsky, der seine abstrakten Gemälden sehr bewußt und genau komponierte, hinkt also ganz gewaltig und ist im übrigen eine Beleidigung von Kandinskys großartiger Begabung.
Immerhin würde ich Baselitz zwar zubilligen, dass er seine Bilder, bevor er sie auf den Kopf dreht – denn das muss er ja nun einmal, es ist sein Markenzeichen – mit einer gewissen Lust am Malen und einiger Verve auf die Leinwand streicht; der Stil seiner Malerei muss indessen allen Betrachtern, die den deutschen Expressionismus von Lovis Corinth bis Beckmann und Kokoschka kennen, alles andere als originell erscheinen.
Hinzu kommt die ermüdende Einfallslosigkeit und Eintönigkeit von Baselitz’ Kunst. Über Jahre und Jahrzehnte malt er nun schon immer das Gleiche – hässliche Männer mit riesigem Phallus, hässliche nackte Frauen, hässliche Köpfe, immer mal wieder in etwas anderen Farben und Formaten, aber immer mit dem gleichen rohen Farbauftrag und der zur Pose verkommenen Spontaneität eines  in die Jahre gekommenen spätexpressionistischen Epigonen.
Nur am Rande sei noch bemerkt, dass dieser höchst durchschnittliche Großfürst der Gegenwartskunst sonnig behauptet, Frauen malten nunmal nicht so gut, dass sei ein "Fakt".