Donnerstag, 3. Mai 2007

Kann man Zwölftonmusik lieben?

Neulich war ich in einer Lesung plus Konzert: zu dem Thema "Thomas Mann und die Musik" wurde aus dem "Doktor Faustus" sowie aus den Briefwechseln zwischen Thomas Mann, Th. W. Adorno und Arnold Schönberg vorgelesen, und zwischendurch spielte eine Pianistin Klavierstücke von Schönberg.

Kurze Anmerkung für die, die den "Doktor Faustus" nicht kennen: Th. Mann schildert darin einen Komponisten, der nach einem mysteriösen Pakt mit dem Teufel eine sensationell neue Musik erfindet - nämlich die Zwölftonmusik. Schönberg, der (neben dem weniger bekannten Komponisten Hauer) ja der eigentliche Erfinder der Zwölftonmusik ist, war nun schrecklich besorgt, daß die Leser dieses Romans - also eines fiktiven Werks - dessen ebenso fiktiven Komponisten für den wahren Erfinder der Zwölftonmusik halten könnten, so daß ihm, Schönberg, der ihm zustehende Ruhm nicht zuteil würde. Es ist bewundernswert, wie diplomatisch und höflich Thomas Mann in seinen Briefen an Schönberg mit den abseitigen, um nicht zu sagen dümmlichen Sorgen des Herrn Schönberg umging. Ebenso diplomatisch verfuhr Mann übrigens auch mit Adorno, der sich von seiner beratenden Tätigkeit bei den Textpassagen des "Doktor Faustus", die von Musik handeln, eine Teilhabe an Thomas Manns Ruhm erhoffte ...

So viel zur Information. Mir geht es hier aber nicht um Thomas Mann und auch nicht um sein Verhältnis zu Schönberg und Adorno, sondern um die Zwölftonmusik.
Die wurde an dem besagten Abend nun von einer russischen Pianistin dargeboten, und zwar mit großer Ausdrucksintensität, ja Theatralik. Es fehlte nicht an feinsinniger Mimik, intensiven Körperverrenkungen, dramatischen Zuckungen - kurz: wer nur die Pianistin betrachtet hätte, ohne die von ihr hervorgebrachten Töne zu hören, hätte nicht gezweifelt, daß hier eine extrem emotionale, spannungsgeladene und bewegende Musik realisiert wurde.

Die Musik aber, die man hörte, war: scheußlich. Zusammenhangloser, schmerzhaft kakophonischer Wahnsinn.

Der künstlich hergestellte Zusammenhang nach den ausgetüftelten Regeln der Zwölftonreihe ist ganz offensichtlich mit den Ohren nicht erkennbar, sondern nur anhand einer genauen Analyse des Notenbilds. Mit dem gleichen Recht, wie Schönberg sein akustisches Vexierspiel als "Musik" bezeichnet hat, könnte ein Autor, der beispielsweise die Buchstaben seines Gedichts, bevor er es druckt oder vorliest, durcheinanderwürfelt, von den solcherart neu entstandenen Kunstworten behaupten, sie seien Poesie. Man könnte solche "Poesie" sicher, ebenso wie Schönbergs Musik, mit Verve und vehementem Ausdruck vortragen, ohne daß irgendein Sinn als der durch die Ausdrucksweise behauptete entstünde.
Aber was soll einem eine Musik, deren Sprache man nicht versteht? Die nicht das vermag, was Musik über die Jahrhunderte hinweg immer vermocht hat - nämlich zu bewegen, zu rühren, ja mehr: mitten ins Herz zu treffen?
Es ist doch interessant, daß die gesamte "U-Musik",vom Schlager bis zum anspruchsvollsten Pop, den Weg der sich für seriös haltenden zeitgenössischen Komponisten in die Kakophonie nicht mitgegangen ist. Die Musik, die vom überwiegenden Teil der abendländischen Menschheit geliebt wird, ist nicht zwölftönig, aleatorisch oder sonstwie "modern". Nein, sie ist, wie mal ein Musikkritiker der SZ mißbilligend bemerkte, "zutiefst konservativ".
Mich wundert es immer wieder, daß die Apologeten der modernen Musik fest die Augen davor verschließen, daß Musik immer noch als "Klangrede" wahrgenommen wird, daß man aber die Regeln, nach denen Sprache - und ebenso Musik - funktioniert, nicht einfach willkürlich ändern kann. Wer möchte schon in ein Theaterstück gehen, in dem statt Rede und Gegenrede nur sprachähnliche Laute ausgestoßen werden, allerdings mit den gleichen emotionalen Einfärbungen und Gesten wie echte Sprache? So etwas ist vielleicht fünf Minuten lang neu, dann skurril, dann langweilt es.
Daß ein leidenschaftlicher Musikliebhaber wie Adorno trotz seiner Liebe zur klassischen Musik ein glühender Verteidiger der Zwölftonmusik war, ist erklärbar wohl nur aus seiner marxistisch geprägten Kulturtheorie. Mit dem Ende der bürgerlichen Epoche hatte gefälligst auch deren Musik abzudanken; die "Zukunftsmusik" der neuen Zeit mußte eben auf ganz neuen Prinzipien errichtet werden, und wenn die Menschheit diese Musik nicht wollte, so zeigte sie damit nur, daß sie rückwärtsgewandt und bürgerlich erstarrt war.
Fast schon unheimlich, wie dieses Sich-Verrennen in eine Theorie die Sinne vernagelt. Aber das gilt möglicherweise für viele Theorien...




7 Kommentare:

d-trick.b hat gesagt…

Also, wie ich das vorhin zur Hälfte gelesen hatte, da dachte ich: Hat sich doch eigentlich von selber erledigt, denn die musikalische Moderne ist wegen mangelndem Publikumszuspruch total marginalisiert, während das, was früher mal U-Musik hieß, mittlerweile ein riesiges Spektrum abdeckt und zur fraglos vorherrschenden Musik unserer Zeit geworden ist.

Aber dann schreibt die Autorin es ja selber, da bleibt mir nicht viel zu sagen...

Unknown hat gesagt…

Also, ich bin malwieder beeindruckt, wie Dr. Lore Brueggemann-Peiffer DInge mit Herz und Intellekt analysiert und auf den Punkt bringt. Wünsche mir viele weitere posts, bitte!
Anna

Maramilja hat gesagt…

Hallo, "es gibt keine freie Note – es soll keine frei note geben" ist ja auch kein wirklich harmonisches Konzept. Hätte gerne beschriebenen russischen Pianisten gesehen, hört sich fantastisch an!

Klaus S. hat gesagt…

Zwölftonmusik gibt es auch im Jazz und im Pop. Auch Filmmusiken, die die Zwölftontechnik benutzen gibt es. s. hierzu z.B. Planet der Affen (http://de.wikipedia.org/wiki/Zw%C3%B6lftonmusik#Vorkommen.2FWerke)

Ulrike Habicht hat gesagt…

Sie sind einer von den vielen Menschen, die ihren persönlichen, subjektiven Geschmack als objektive Wahrheit darstellen möchten. Doch was haben sie davon? Fühlen sie sich dadurch besser?

Sie haben nicht erkannt, das die Regeln der alten Musik genauso willkürlich sind, wie alle anderen Musikregeln auch. Gehen wir in ein anderes Land, und hören uns deren Musik an:

http://www.youtube.com/watch?v=V21GWpSF6Cs

Haben die Menschen dort jetzt alle Regeln der Harmonielehre gebrochen? Vielleicht möchten sie nach Zentralafrika reisen und den Menschen auch dort ihre Musik ausreden?

Das die eine Musik für sie Sprache ist und die andere nicht, das liegt ganz alleine an ihnen. Ist es nicht wunderbar das man in der Musik nicht nur althergebrachtes sondern auch neues tun kann? Wie arm, wie schrecklich wäre es, wenn immer nur das Gleiche gemacht würde, wie es das Radio leider täglich vorplärrt.

Unknown hat gesagt…

Ich möchte mich "Ernst-Habicht-Institut für Urtonforschung" anschließen!

Außerdem finde ich es erschütternd, mit was für einer unreflektierten Bildzeitungspolemik da Unsinn von sich gegeben wird! Geh halt PUR hören oder fühl dich intellektuell mit Jazz! Das hat NICHTS mit Intellekt zu tun!

Carl Justus Fuchs hat gesagt…

Ich möchte sie bitten sich 7 Minuten Zeit zu nehmen und sich dieses Zwölftonwerk Schönbergs einmal anzuhören: http://www.youtube.com/watch?v=-CFnJiElpks
Fragen sie sich danach: Was habe ich gefühlt?

Sie werden sehen, sie haben noch Musik gehört, die sie emotional so mitgenommen hat. Versprochen! Vielleicht ändern sie dann ja ihre Meinung gegenüber der Sprache der Musik.