Dienstag, 28. Oktober 2014

"Social Freezing"

Seit zwei Wochen wird erregt, polemisch oder gar hysterisch über eine neue Form der Geburtenplanung diskutiert, das neuerdings von Facebook und Apple ihren Mitarbeiterinnen angebotene sogenannte „Social Freezing“, das Einfrieren von menschlichen Eizellen zum Zwecke ihrer späteren Befruchtung,-  dann, wenn es frau/mann mal „passt“.

Auch Günther Jauch ließ  dieses Thema am Sonntagabend diskutieren, wobei die Zusammensetzung seiner Talk-Runde zu wünschen übrig ließ: Neben einer wenig überzeugenden Befürworterin des „Social Freezing“ gab es als Befürworter noch einen Arzt aus Bregenz zu bestaunen, der nicht einen Satz fehlerfrei zu Ende brachte (Originalton: „Meiner Meinung… also wos i jetzt weiß“; anscheinend hatte er Probleme damit, „meiner Meinung…“ korrekt zu benutzen) und nur Werbe-Spruchbänder über sein Eizellen-Tiefkühl-Labor und die medizinische Unbedenklichkeit des „Social Freezings“ verkündete. Vernünftig erschienen mir Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist, und die beiden anderen eingeladenen Frauen. Beide auf natürliche Weise erst recht spät Mutter geworden, lenkten sie immerhin den Fokus auf das, was eigentlich Not täte: nämlich einen gesellschaftlichen Wandel, so dass längere Erziehungspausen berufstätiger Mütter und unproblematische Berufsrückkehr selbstverständlich würden und Familie auch in der Arbeitswelt als bestimmender Faktor für die Struktur der Arbeitsbedingungen gälte..

Es ist ganz erstaunlich, welche hämischen, ja fast hasserfüllten Kommentare diese Diskussion in den Printmedien hervorrief. Die Online-Portale von Spiegel, Tagesspiegel und Focus bewerteten  unisono Jauchs Sendung als sexistisch, inkompetent und frauenfeindlich, und nur Uta Rasche in der FAZ.net fand etwas maßvollere Töne und sagte Vernünftiges zu den negativen Aspekten dieser Art von Familienplanung. Allerdings konnte auch sie sich nicht verkneifen, darüber zu klagen, dass Männer wie Jauch und Yogeshwar, eben weil sie Männer seien, es ja „leicht“ hätten, die „Angebote von Apple und Facebook….für unmoralisch zu halten“, und sie fragte, wieso es in Jauchs (oder Yogeshwars) Beruf „keine Frau mit vier Kindern“ gebe.

Dazu ist folgendes zu sagen: Es gibt auch im Fernsehen und in anderen medialen Berufen – und generell in allen anspruchsvollen Berufen - Frauen, und zwar erfolgreiche Frauen, mit mehr als einem Kind (zum Beispiel Anke Engelke oder Petra Gerster). Dass Jauch bzw. Yogeshwar erfolgreich sind, liegt nicht primär an ihrem Geschlecht. Es gibt nicht nur tausende von Frauen, sondern auch von Männern, die gern ebenso erfolgreich wären, es aber nicht sind, weil die Begabung, der Mut und diverse andere Fähigkeiten  nicht ausreichen. Vor allem aber wäre es fatal für die Möglichkeit objektiver Wahrheitsfindung im gesellschaftlichen Diskurs, wenn in Zukunft die Argumente primär danach bewertet würden, ob sie von einem Mann oder einer Frau kommen. Ein Mann ist ja nun nicht a priori voreingenommen, nur weil er ein Mann ist, und dies gilt, wie ich hoffe, auch für Frauen (obwohl man angesichts der oftmals schrillen und polemischen Töne, die aus der Gender-Ecke kommen, an der Objektivierungsfähigkeit mancher emanzipatorisch beflügelter Damen zweifeln möchte).

Nun zum Thema.
Was in der Diskussion fast komplett fehlte, waren die Kinder. Sie sind offenbar Nebensache, wenn es um Karriere geht. Wie geliebt, wie angenommen fühlt sich ein Kind, wenn es erfährt, dass es jahrelang nicht erwünscht war und aus einer tiefgefrorenen Eizelle entstand, die viel "älter" gewesen ist  als der eigentliche Entstehungs-Zeitpunkt des Fötus? – Wie oft wird sich dieses Kind fragen, ob es denn jetzt in das Leben seiner Karriere-Mutter passt. Und wie sehr engt das Durchplanen des eigenen Lebens bis in den zentralen Bereich der Lebensweitergabe die persönliche Freiheit ein, die eben mehr ist als Karriere!  In meinen Augen ist diese angeblich selbstbestimmte Nachwuchsplanung das Gegenteil von Freiheit: Anstatt offen zu sein für das Leben in allen Facetten, plant man sogar das Kinderkriegen durch wie eine Dinnerparty. Man verabsolutiert die gegenwärtige Perspektive, die einseitig von der Karriere geformt ist, und verlängert sie in eine Zukunft, von der man nicht weiß und nicht wissen kann, wie sie einen selbst verändern wird. Denn ein Kind zu bekommen und dafür Verantwortung zu übernehmen, verändert eine Frau, und zwar erheblich. Es kann also durchaus passieren, dass Beruf und Karriere dann plötzlich in anderem Licht erscheinen und anders bewertet werden als in der kinderlosen Karriere-Zeit.

Dieses die Zukunft und die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten  einseitig verengende Planen ist ja übrigens auch in einem anderen Bereich der menschlichen „Reproduktion“ gang und gäbe, nämlich bei der pränatalen Diagnostik. Hier trifft man tödliche Entscheidungen, wenn ein Fötus von einer Behinderung bedroht zu sein scheint, ohne zu wissen, wie man die reale Situation mit einem behinderten Kind meistern und welche Kräfte sie freisetzen würde – so dass dieses neue Leben, so unvorhersehbar wie es war, einen neuen und tiefen Sinn erhielte. Ähnlich wie in der pränatalen Diagnostik, wird auch mit dem Eizellen-Einfrieren eine Technik, die ursprünglich Krankheit verhindern, bzw. kranken Frauen helfen sollte, auf gesunde Frauen angewendet, die somit (darauf wies auch Ranga Yogeshwar hin) pathologisiert werden. Eine weitere Parallele zur pränatalen Diagnostik ist beim „Social Freezing“ gleichfalls zu befürchten: Was jetzt freiwillige Option ist, könnte irgendwann zum sozialen Druck und dann schließlich zur Pflicht werden, so wie heutzutage junge werdende Mütter, die ein möglicherweise behindertes Kind austragen möchten, von Ärzten und Gesellschaft gleichermaßen unter extremen Druck gesetzt werden.

Ein Letztes: Verschiedentlich wurde kritisiert, dass Yogeshwar und andere „die Moralkeule“ schwängen, bzw. dass das Angebot von Facebook „unmoralisch“ sei. Mit Moral hat dieses Thema nichts zu tun. Selbstverständlich hat der gesamte Bereich der Reproduktionsmedizin und der pränatalen Diagnostik tiefgreifende ethische Aspekte. Entscheidender ist es, dass die natürlichen anthropologischen Gegebenheiten willkürlich verändert oder sogar ausgehebelt werden. Das hat medizinische, psychologische und soziale Auswirkungen, die wir noch gar nicht abschätzen können. Dringend geboten wäre eine Rückbesinnung auf die natürlichen Voraussetzungen der menschlichen Reproduktion. Es ist schön und sinnvoll, wenn neues Leben aus einer Handlung entsteht, die  wir als „Liebesakt“ oder „Liebe machen“ bezeichnen. Wenn der Aspekt der Lebenserzeugung, der dabei immer mitschwingt, in einen der Gegenwart des Liebesakts sehr ferngerückten technischen Prozess verlagert wird, dürften es die Liebe - und mit ihr die Lust – in Zukunft ziemlich schwer haben.

Noch ein persönliches Wort zum Schluss:
Ich selbst bin  promovierte Germanistin, habe vier Kinder großgezogen, von denen die jüngste Tochter schwer behindert ist, und mit keiner Karriere der Welt hätte ich so viel lernen und mich selbst so sehr weiterentwickeln können wie im Leben mit meinen Kindern und meiner behinderten Tochter Clara.