Donnerstag, 11. Februar 2010

Clara hat Liebeskummer

Clara ist traurig. Martin, der Zivi, wird in zwei Wochen gehen, und in Martin ist sie verliebt - auf ihre unschuldige, kindliche Art, Dialoge zwischen Martin und seiner Freundin Jenny erfindend, mit genußvollen Seufzern "Hach Martin", über die sie selbst lacht, mit umfassender Begeisterung, wenn er zugegen ist in der Wohngruppe.
Meistens ist Clara fröhlich, überströmend fröhlich sogar. Sie kann sich über Kleinigkeiten so freuen, daß man selbst gleichfalls gute Laune kriegt. Das Glück des kleinen Augenblicks, das genießt sie mehr, als wir es je können würden, weil sie sich ganz dem Moment, dem Augenblick hingeben kann, ohne an gestern und morgen zu denken.
Aber wenn dann das Morgen doch einmal hineingreift in den Augenblick, wie jetzt, da sie weiß, daß Martin geht, wird sie empfindsam, nachdenklich, melancholisch.

Und ich frage mich wieder einmal, warum das Schicksal, bzw. "Gott" oder bloßer, hirnloser Zufall dieses Mädchen so getroffen hat. Ich habe nicht den Trost des Gebets - "hallo, Gott, du hast da was falsch gemacht, kannst du das jetzt bitte korrigieren" - oder des selbstanklägerischen Tue-Buße-Deals mit diesem strafenden und belohnenden Gott mancher frommen Kirchgänger, die meinen, durch drei Rosenkränze, fünf Lourdes-Wässerchen und diverse Fastenkuren Gott ein Opfer oder eine Vorleistung zu geben, die er dann wunschgemäß belohnen muß.
Nirgendwo übrigens habe ich mehr Lieblosigkeit und Mißtrauen gegenüber meiner behinderten Tochter erlebt als in konservativen kirchlichen Kreisen. Da steckt in den Köpfen die abergläubische Furcht, daß ein Behinderter ein "von Gott Gestrafter", wenn nicht gar ein "vom Teufel Besessener" sein müsse, oder daß er die "Strafe" für irgendein unaussprechliches sündhaftes Vergehen der Eltern sei. Daß man ihn einfach so, als den Menschen, der er ist, akzeptieren oder gar lieben könnte, das will erst recht nicht in diese verhärteten Köpfe und Herzen hinein. Nein, da muß der Krankensegen her, da muß man nach Lourdes fahren, da sollte man zu diesem und jenem "gnadenreichen" Ort reisen, an dem Sankt Placebo wundersame Heilungen vollbrachte. Es ist schier unglaublich, mit welch dreisten Zudringlichkeiten man seinerzeit Clara und mir zu nahe trat. Übrigens ein Grund für meinen Mann und mich (nicht der einzige), uns endgültig von der Kirche in allen ihren Ausprägungsformen, samt ihren dubiosen "Tröstungen", abzuwenden.

Was bleibt zu tun? Trösten, aber mit Liebe und Phantasie; den Blick nach vorn richten, auf alles Schöne, das Clara zugänglich ist; Möglichkeiten zu Erlebnissen schaffen, die ihre Seele mit Glück und Begeisterung erfüllen. Konkret: kleine Reisen, die unsere Knochen noch mitmachen, Wochenendausflüge, Konzerte, Theater, Kino, Gäste.

Ja, das ist anstrengend, ja, es macht Arbeit; ja, man möchte hin und wieder sorglos faulenzen. Aber es kommt auch zurück, das Glück und die Begeisterung, die Claras süßes Gesicht verklären und ihre blauen Augen strahlen lassen.