Montag, 16. Juli 2007

Liszts Liedern lauschen

Neulich war ich in einem Konzert in der Staatsbibliothek.
Eine bekannte Sängerin sang Lieder von Liszt. Die Sängerin trug ein weißes Abendkleid; sie war kontrastreich geschminkt, ihre Augen funkelten, sie riß den dunkelroten Mund auf, zog die schwarzen Augenbrauen schmerzlich zusammen, strahlte zwischendurch furchterregend und bewegte sich leidenschaftlich hin und her. Sie mußte hoch und laut und mit sehr viel Vibrato singen,und es tat oft ein bißchen in den Ohren weh, wenn sie sehr laut und sehr hoch sang. Besonders laut war ein Lied zu dem Goethe-Text: "Süßer Friede, komm ach komm in meine Brust". Aber Mignons Lied aus "Wilhelm Meister" war auch ziemlich dramatisch. Dann gab es noch ein neues Lied von Liszt, in dem ein unbekannter Autor anläßlich des erwachenden Morgens "das Wogen der Brust" fühlt und sich seiner "freudig bewußt"ist. Das war kurz, aber besonders laut.
Das Publikum, in Ehren ergraut und vertrocknet, lauschte gesittet, wobei man verstohlen umherguckte, wer denn alles gekommen sei und wen man hinterher beim Empfang treffen müsse.
Zwischendurch erzählte eine erlesen frisierte Dame, die ein "von" vor dem Nachnamen trug, von Liszts Auftreten in München und las aus Briefen von Zeitgenossen vor. Sie hatte ein helle, brüchige Stimme und machte das - sagen wir mal - ganz reizend. Das Publikum schmunzelte entzückt, als sie vorlas, wie Bettina von Arnims Tochter Maxie beteuerte, daß sie es nicht bereut habe, den Grafen Pocci zum Abschied zu küssen.
Nach dem Konzert gab es Laugenbrezeln, Ökosemmeln und Wein. Ich ging in den hellen, verregneten Juliabend hinaus, die Ludwigstraße glänzte naß, der Himmel war licht und ich atmete tief die kühle frische Luft.

3 Kommentare:

d-trick.b hat gesagt…

Jajaja, das ist das Unbehagen an der Hochkultur, nicht wahr?

Es grüßt (mit wogender Brust)
D.

Dr. Lore Brüggemann hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Dr. Lore Brüggemann hat gesagt…

Nee, nicht an der Hochkultur im allgemeinen, sondern am geistlosen Tradieren von Überholtem, das schon zur Entstehungszeit nicht gut war. Wobei Liszt stark dazu beigetragen hat, daß nicht die Musik, sondern der Virtuose - und zwar der Virtuose als Zirkuspferd, nicht als Musiker - gefeiert wird.