Dienstag, 20. November 2007

Wir Woyzecks

Gehen Sie gern ins Theater?

Wenn ja, machen Sie einen großen Bogen um Befragungen. Vor allem, wenn man sich nach "Lebensgefühl, Erfahrungen, Meinung zur Familie, Politik und Gesellschaft" erkundigt.

Sonst kann es Ihnen nämlich passieren, daß Sie Ihren gutgläubig geäußerten Ansichten nach einem halben Jahr auf der Bühne Ihres Theaters wiederbegegnen. Und zwar als dumpfes "Volkes Stimme" (SZ vom 13.11.2007) in einer Bearbeitung des Büchnerschen "Woyzeck", angesiedelt im Kleinbürgermilieu und garniert mit allem, was die Klischeekiste an typischen Requisiten des Kleinbürgers bereithält: Schrebergarten, Rotkäppchensekt, Jägerzaun, Picknickdecken, Putzeimer usw. usw.

So geschehen im Staatsschauspiel Dresden, wo der Dramaturg Stefan Schnabel und der Regisseur Volker Lösch die Ergebnisse einer Zuschauerbefragung mit Büchners Theaterstück zu einer Collage verwoben haben, die offenbar zeigen soll, welches rechtsradikale Potential auch im harmlosen bürgerlichen Theaterbesucher steckt. Dabei ist übrigens auch interessant, daß es offenbar nicht als Diskriminierung gilt, wenn der Kleinbürger und sein Geschmack an den Pranger gestellt werden.

Daß die Sätze der Theaterbesucher "nahe ... an den Pamphleten der NPD" seien, stellt Alex Rühle in seinem Bericht in der SZ fest und wundert sich, daß nirgendwo "mündige Bürger" mit gutem Demokratiegefühl zu finden seien. Schuld daran ist für ihn aber nicht etwa die verfehlte Wirtschaftspolitik in den neuen Bundesländern. Nein, schuld sind die Bürger schon selbst an ihrer Unmündigkeit. Verdammt, man hat in einer Demokratie nunmal nicht unzufrieden zu sein! Dann ist man nämlich populistisch, kapitalmusfeindlich und anfällig für die "Kultur (!) der Fremd- und Selbstzerstörung", wie sie von den Skinheads und von Woyzeck praktiziert werden.

Also, lieber Theaterbesucher: Wenn Sie unzufrieden mit "denen da oben" sind, reißen Sie sich zusammen und fühlen sich gefälligst als freier demokratischer Bürger! Andernfalls sind Sie "dumpf" und gewaltbereit und werden demnächst Ihre Gattin erwürgen. Und sehen Sie zu, daß Sie weder Rotkäppchensekt trinken noch einen Jägerzaun im Garten haben.

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