Samstag, 20. Dezember 2008

Glänzende Aussichten

Sie hat doch auch ihr Gutes, die Weltwirtschaftskrise: weniger Autos, weniger Abgase, weniger Resourcenvernichtung, weniger Treibhauseffekt - etwas Besseres könnte unserem blauen Planeten doch gar nicht passieren.
Und was ist mit den vielen Arbeitslosen? Nun, dank unserer verdienstvollen deutschen "Arbeitsagenturen" gibt es auch hier Licht am Horizont. Denn die machen sich wirklich Gedanken, wie sie die Langzeitarbeitlosen in passende Ein-Euro-Jobs vermitteln. Wie ein aktueller Fall zeigt, wird in den Agenturen neuerdings umsichtig und sensibel auf die ehemaligen Fachgebiete der HartzIV-Menschen reagiert.
So darf ein arbeitsloser Kunststoffingenieur nun für 1,50 € Stundenlohn an 30 Wochenstunden Bäumchen mit Wildschutzfolie umwickeln; Kunststoff und Folie, das paßt doch, werden sich die Leute von der Agentur gesagt haben.
Schwer zu verstehen, daß der undankbare Ingenieur nichts mit Wildschutzfolien zu tun haben wollte und gegen die Arbeitsagentur geklagt hat, und natürlich hat der Mann nicht Recht bekommen.

Aus der Palette der zahlreichen Möglichkeiten für weitere HartzIV-Empfänger hier ein paar Vorschläge:
Architekten (von denen es ja ziemlich viele ohne Arbeit geben soll) könnten bei der Fenster- und Gebäudereinigung von Schulen und Krankenhäusern ihr Fachwissen einbringen,
Germanisten und Journalisten wären dank ihrer professionellen Lesekompentenz hervorrragend für die Verteilung von Gemeindeblättchen geeignet, aber auch bestens bei der Post verwertbar, die ja ohnehin sparen muß (oder will),
Physiker und Chemiker könnten wahlweise zur Rohrreinigung, zu Kanalarbeiten oder Abwasserreinigung herangezogen werden,
Handwerker jeglicher Provenienz wären wegen ihrer technischen Fähigkeiten fast überall in der gemeinnützigen Arbeit einsetzbar, egal, ob es sich um die Beseitigung von Müll, das Entfernen von Hundehäufchen oder das Sichern von Schwimm- und Eislaufhallendächern handelt,
und Schauspieler könnten mit ihrer professionell geschulten Körpersprache der Verkehrspolizei beim Regeln des Verkehrs zur Hand gehen.
Für arbeitslose Philosophen und Theologen wird's ein bißchen schwieriger, aber auch hier würden sich Betätigungsfelder in der Friedhofsarbeit und der Grabsteinpflege eröffnen.

Blicken wir also voller Vorfreude und Erwartung dem umweltschonenden und arbeitslosenfreundlichen neuen Jahr entgegen!

Mittwoch, 29. Oktober 2008

Herr B. fährt Bahn (eine wahre Geschichte)

Herr Dieter B. fuhr eigentlich nie mit der Bahn. Reisen tat er zusammen mit seiner Frau, und das war mit dem Auto erstens billiger und zweitens schöner. Aber nun mußte Herr B. spontan jemanden treffen - wen und warum tut hier nichts zur Sache -, ohne seine Frau und dreihundert Kilometer weit weg.

Gut, also doch mal Bahn fahren. Wird auch mal Zeit, sagte Frau B., du paßt doch gut zur DB, mit deinem Namen. Herrn B.s Frau war sogar beim Internetservice der Bahn registriert, und so wollte sie ein Ticket für ihren Mann ausdrucken. Allerdings mußte sie feststellen, daß dies nicht ging: das unter ihrer Registrierung ausgedruckte Ticket wäre nicht übertragbar gewesen, die Bahn glaubte offenbar Herrn B. oder sonst jemandem nicht, wenn er mit dem Ticket seiner Frau oder Freundin kam und behauptete, die hätte das für ihn ausgedruckt und bezahlt. Und ohne Registrierung ausdrucken ging auch nicht, weil Herr B. dafür eine Kreditkarte benötigt hätte, und die besaß er nicht, aus Prinzip. Na gut, sagte Frau B., man kann zwar bei Tchibo und bei Karstadt und bei Amazon und überhaupt überall ohne Kreditkarte im Internet einkaufen, aber unsere Deutsche Bahn ist eben etwas Besonderes, die sind mißtrauisch.

So fuhr Herr B. zum Bahnhof und stellte sich in die Schlange an einem Schalter. Nach fünfundzwanzig Minuten stand er immer noch dort. Die Kundin, die sich seit einer knappen halben Stunde am Schalter beraten ließ, hatte offenbar sehr viel Zeit und noch mehr Fragen. Herr B. war so euphorisch, als er endlich drankam, daß er zu seinem Ticket noch gleich eine Bahncard25 kaufte. Wer weiß - vielleicht würde er in Zukunft ja öfter mit der Bahn...?

Am nächsten Morgen war Chaos am Bahnhof. Die Bahn hatte ihre ICE-Züge aus dem Verkehr nehmen müssen, weil irgendwas mit den Rädern nicht stimmte. Mit zwei Stunden Verspätung kam Herr B. schließlich an seinem Zielort an, ausgehungert, weil es nichts zu essen gegeben hatte in der Bahn, und sehr durstig, weil auch niemand etwas zu trinken angeboten hatte.
In der Bahnhofslounge pries eine Speisekarte zwar so herrliche Dinge wie "drei kleine Schweinemedaillons mit Ofenkartoffeln" an, aber dieses Essen, das aus zwei Fleischstücken und Kartoffeln bestand, schmeckte nicht einmal nach nichts, das wäre ja noch zu ertragen gewesen, sondern scheußlich. Trotzdem, sozusagen aus wissenschaftlichem Interesse, fragte Herr B. den Kellner, wieso es denn nur zwei Medaillons seien, anstatt der auf der Speisekarte angekündigten drei. Der Kellner behauptete, diese Medaillons seien größer als die drei kleinen, die sie sonst servierten - drum. Die Toilette dieser Bahnhofslokalität paßte zum Essen. Ein Becken war kaputt, im Seifenspender befand sich keine Seife, und der Papierbehälter zum Händeabtrocknen war leer.

Auf der Rückfahrt, die erstaunlicherweise ohne Verspätung ablief, saß Herr B. hinter einer Frau, die ohne Unterbrechung und lautstark Geschäftsgespräche auf ihrem Handy führte. Als die vorpubertäre und extrem gelangweilte Tochter der Frau auch anfing, in ihr Handy zu sprechen, wurde sie von ihrer Mutter zurechtgestaucht, daß sie nicht so laut sein solle, hingegen wagte keiner der Mitreisenden, die Mutter in ähnlicher Weise zu ermahnen. Herr B. hatte wieder großen Durst, aber kein freundlicher oder unfreundlicher Servicemensch erbarmte sich seiner. Trotz seines Durstes fand Herr B. es irgendwann erforderlich, die Zugtoilette aufzusuchen. Doch die beiden Toiletten an den Wagendurchgängen waren, wie ein Zettel an den Toilettentüren mitteilte, defekt. Vor der weiter entfernten, funktionierenden Toilette drängte sich eine lange Schlange von Zugreisenden. Herr B. kehrte an seinen Platz zurück, entfaltete die Tageszeitung und las, daß die Bahnvorstände bei einem Börsengang der Bahn sechsstellige Sonderzahlungen erhalten würden.

Auf dem Bahnhof seiner Heimatstadt angekommen, zerriß Herr B. seine Bahncard25 und streute die Schnipsel in einen überquellenden Bahnhofsabfallkorb. Und er schwor sich, seinen Namen nie mehr mit D.B. abzukürzen.

Dienstag, 14. Oktober 2008

Fernsehen ist doof

Nach Marcel R.'s spektakulärem Auftritt beim deutschen Fernsehpreis war die Branche high. Bei der angesagtesten Party im Anschluß an die Gala sollen verschiedene bekannte Persönlichkeiten aus Film, Fernsehen und Politik Marcel R.'s Fernsehschelte zustimmend kommentiert haben, und das hörte sich etwa so an:

Elke H. (Literaturpäpstin): Fernsehen ist doof, hab ich immer gesagt. Leute, lest lieber, sag ich immer, es gibt so viele gute Bücher, guckt einfach mal in meine Sendung, dann habt ihr Lesestoff und müßt nicht mehr meine Sendung gucken. Daß ich das mit den Büchern mache, ist ja eigentlich nur ehrenamtlich, das bißchen, was ich dafür kriege, das sind doch Peanuts im Vergleich zu dem, was der Ackermann so einstreicht, und der tut nix für die Bildung, so wie ich. Also die solln mich ruhig rausschmeißen, diese verknöcherten Idioten.

Hans J. (ZDF-Programmchef): Die Elke geht doch sowieso, aber den Marcel, den müssen wir uns warmhalten. Klasse, der Mann.

Veronika F. (Actrice, vom Busenwunder zur Empörungs- und Charakterdarstellerin aufgestíegen): Also der Herr Reich, der hat ja ein wunderbares Temperament, ein Vulkan, und das mit achtundachtzig. Ich finde, er hat da was ganz ganz Wichtiges gesagt, man muß echt auf mehr Niveau achten im Tievie, also das tue ich auch, ich wähle meine Projekte ja sehr sehr kritisch aus, und wenn das alle tun würden, dann hätten wir ein ganz anderes Niveau im deutschen Fernsehfilm. Danke, Marcel, ich fand das ganz ganz großartig, was du da gemacht hast. (Sie eilt auf Marcel R. zu, der umringt ist von Bewunderern, und drückt ihm, bevor er sich abwenden kann, einen herzlichen Kuß auf die Greisenwange.)

Josef L. (Fernsehkoch): Stimmt schon, Fernsehen ist total doof, vor allem, wenn keine Kochsendungen laufen, versteh gar nicht, wieso die Leute dann überhaupt einschalten. Also ich hab den Marcel mal beim Essen kennengelernt, da hatte ich das Gefühl, daß der unheimlich gern ißt.

Günther J. (nebem Thomas G. Deutschlands bekanntester TV-Moderator): Natürlich ist Fernsehen doof, und je besser dann bestimmte Sendungen sind, die von den wenigen intelligenten Leuten in dieser Branche moderiert werden, desto krasser zeigt sich die Doofheit des alltäglichen TV-Schlamms. Nur so ist es doch zu verstehen, daß man mich (charmantes selbstironisches Lächeln) für den intelligentesten Mann Deutschlands hält...

Angie M. (Bundeskanzlerin): Das Massenmedium Fernsehen hat natürlich Schwächen, aber wir sollten doch dankbar sein für die Freiheit der Meinungsäußerung, die in diesem Land auch einem extrem formulierenden Medienkritiker wie Herrn R. Raum für einen solchen Auftritt gibt. Die Tragik des von mir immer bewunderten Herrn R. ist es, daß ein selbstreferentielles System wie das Fernsehen auch den, der es bekämpft, zum funktionierenden Teil des Sytems macht...

(an dieser Stelle wird Angie M. von Josef A., Bankier, zur Seite genommen und in ein längeres, mit gedämpfter Lautstärke geführtes Gespräch verwickelt.)

Klaus W. (Berliner Oberbürgermeister), gutgelaunt und mit dem fünften - oder sechsten? - Glas Moet Chandon in der Hand: Fernsehen schwallt, und das ist nicht gut so.

Josef A. (Bankier) hat das Gespräch mit Angie M. beendet und nähert sich Marcel R., der gerade mit dem Werbechef von Telekom angestoßen hat: Ich bin Ihnen ja so dankbar, Herr R.! Endlich redet man mal nicht von uns! Wie wär's, ich hatte da so eine Idee - wir würden gern einen neuen Preis stiften, für mutige TV-Journalisten und Persönlichkeiten wie Sie, die kein Blatt vor den Mund nehmen: dürften wir diesen Preis nach Ihnen benennen? Und vielleicht sogar durch Sie überreichen lassen? Übernachtung mit Frühstück und Reisekosten werden selbstverständlich erstattet, und auch sonstige Kosten werden...

Hier schwappte die Party akustisch über den beiden Herrschaften zusammen, und der Rest ging in den wummernden Bässen der Band "Einstürzende Neubauten" unter.

P.S. Wie man hört, möchte Elke H. einen besseren Sendeplatz für "Lesen!", und Marcel R. erklärt, daß die Werbung, die die Telekom mit einem Foto von seiner Fernsehschelte macht, ein Mißverständnis sei.

Montag, 6. Oktober 2008

Volkes Stimme

Heute im Schwimmbad war aus der Umkleidekabine nebenan folgender Monolog zu hören (männlich, bayrisch, etwas älter, aber nicht zittrig oder heiser oder ähnl.):

Herrschaftszeiten, dös san alles Verbrecher. Alles Verbrecher. Standrechtlich erschießen sollt man die. (Pause). Eingesperrt gehören die, bei Wasser und Brot. Bis sie eingehn. Dumm wie die Schafe. Schafe san's alle.

Nach dieser verbalen Entladung waren nur noch gutgelaunte Schnaufer und ansatzweises Summen einer bayrisch und volksmusikartig anmutenden Melodie zu hören.

Und ich frage mich: Wen meinte der deftige Volkstribun? Die Banker von Hypo Real Estate? Oder die Bundesregierung, die HRE mit zweistelligen Milliardensummen künstlich am Leben hält?

Dafür, daß genau diese - und eben nicht die Nachbarn oder die Frauen oder die Ausländer gemeint waren - spräche, daß ich Derartiges noch nie aus einer Badekabine vernahm. Nach den diversen Diskussionen von Fachleuten in Funk und Fernsehen, den vielfältigen Kommentaren in den Printmedien, abwägend, abwiegelnd, vernünftig, ein etwas anderer Kommentar, der zumindest eines ausdrückt, was ich sonst nirgends gehört habe: das Entsetzen um die Kaltschnäuzigkeit, mit der dieses unvorstellbar viele Geld verbrannt worden ist.

Montag, 22. September 2008

Pränatale Diagnostik?

"Der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Johannes Singhammer (CSU), hofft auf eine Verringerung sogannter Spätabtreibungen. Um die Zahl der Abtreibungen zu senken, die nach der zwölften Schwangerschaftswoche erfolgen, nachdem eine Schädigung oder Behinderung des Ungeborenen festgestellt worden ist, müsse die Beratung verbessert werden und eine dreitägige Bedenkzeit eingeführt werden."

Zu dieser Meldung gab es am 21.9.2008 eine Diskussion im Deutschlandfunk. Man war sich einig, daß das Leben mit behinderten Kindern "viel Freude machen" könne und daß Frauen, die durch eine Gendiagnostik von einer Behinderung ihres ungeborenen Kindes erfahren, beraten werden und Bedenkzeit bekommen sollten, so daß sich vielleicht etwas weniger als die bisherigen 90 Prozent zur Abtreibung entschließen.

Was nicht angezweifelt und dementsprechend nicht diskutiert wurde, ist die pränatale Diagnostik selbst. Dabei liegt hier der eigentliche Kern des Problems.

Denn sowohl die pränatale Diagnostik wie auch die oben erwähnten Pläne einer mehrtägigen Bedenkzeit gehen davon aus, daß die Eltern durch eine ausführliche Beratung zu einer sinnvollen und gerechten Entscheidung bezüglich des Lebensrechts ihres behinderten Fötus und ihrer eigenen Lebensgestaltung kommen können.

Diese Voraussetzung aber ist fehlerhaft. Man kann keine Entscheidung über eine zukünftige Situation treffen, deren Koordinaten man nicht kennt. Man kennt weder die eigenen Fähigkeiten und Kräfte, die man in einer unbekannten Situation entwickeln wird. Man kennt auch nicht die Reaktion auf die Behinderung des eigenen Kindes. Sie wird realiter immer eine andere sein als die imaginierte. Man kennt ferner nicht die Entwicklung des behinderten Kindes, m.a.W., weiß noch nicht, wie sich dieses Kind mit seiner individuellen Behinderung "einrichten", welche besonderen Eigenschaften es haben wird, wie seine Sozialisierung aussehen wird.

So werden mit dem Wissen um die Behinderung des Kindes im Mutterleib die Eltern zu einem Zeitpunkt vor die unwiderrufliche Entscheidung über Leben oder Tod dieses Kindes gestellt, an dem sie nicht in der Lage sind, über die Sinnhaftigkeit und den "Wert"des Lebens, das da wächst, zu entscheiden.

Wie sollen sie auch wissen, daß gerade die Fürsorge für ein hilfsbedürftiges Kind ungeahnte Kräfte zu mobilisieren vermag. Es hat durchaus seinen Sinn, daß man generell nicht die Katastrophen kennt, die die eigene Biographie für einen bereithält. Wie oft stellt sich eine sogenannte "Prüfung", bzw. ein "Unglück", als Lebensprobe heraus, aus der man gestärkt hervorgeht! Ein leichtes, von Krankheit, Trauer, Schmerz und Zweifel unbehelligtes Leben mag angenehm, mag "schön" sein, doch es ist weder die Regel, noch unbedingt wünschenswert.

Grundsätzlich stellt sich natürlich die Frage, ob Eltern oder Ärzte überhaupt JEMALS in der Lage sind, über den Wert oder Unwert eines Lebens zu entscheiden, bzw. ob ihnen überhaupt ein lebensentscheidendes Recht zukommt. Wenn wir dies bejahen, bejahen wir auch die Praxis der Nationalsozialisten, die Behinderte als "lebensunwertes Leben" brandmarkten und damit deren Ermordung rechtfertigten.
Die einzig mögliche Antwort ist die, daß es kein "lebensunwertes" Leben gibt.
Daß sich aus dem Nein zur pränataldiagnostisch begründeten Abtreibung auch ein Nein zur millionenfach ausgeübten "normalen" Abtreibung ergibt, ist evident.

Samstag, 24. Mai 2008

Eheszenen, II

Ort: Das Restaurant eines Kaufhauses in München. Spektakulärer Blick über die Dächer und auf die Frauenkirche.
Am Nebentisch, direkt am Fenster, ein altes Ehepaar. Er ein alterskrummer dürrer Greis, tief über den Tisch gebeugt, eine vorspringende scharfe Vogelnase über schmallippgem kleinem Mund, fliehendem Kinn und faltig sich im Hemdkragen verlierendem eingesunkenem Hals. Tadelloser beiger Anzug, helle kleine Äuglein, die unruhig mal aus dem Fenster, mal auf seinen Teller, mal auf die gegenübersitzende Begleiterin springen. Die Ehefrau eine noch ganz propere, aber farblos-biedere Erscheinung, dunkle, brav am Hinterkopf zusammengesteckte Haare, ovales blasses Gesicht; die Kleidung gediegen und unauffällig - gutbürgerlich mit Perlenkette.

Beide schweigen eine Weile. Dann schaut sie auf ihre Armbanduhr. "Tja, es wird halt Zeit für mich", sagt sie in verhalten wienerischer Dialekteinfärbung.
Der alte Herr wird sofort ganz kregel. "Zeit? Ja, wieso denn? Nie hast du eine Zeit! Was willst denn noch machen, bittschön?"
Sie: "Ich müßt halt noch was besorgen."
Er: "Besorgen? Was denn besorgen! Immer mußt du noch was besorgen! Das ist doch ein Unsinn! Was willst denn noch besorgen!"
Sie murmelt etwas Unverständliches.
Er: "Also ich könnt hier noch drei Stunden sitzen. Ist doch schön hier. Aber du hast ja keine Zeit!"
Sie schweigt und bleibt sitzen.
Er: "Was hast zu trinken gehabt?"
Sie: "Einen Tee mit Zitrone."
Er: "Was hat der Tee denn gekostet?"
Sie: "Nichts."
Der alte Herr fährt regelrecht zusammen, kurzfristig ist er aus dem Konzept gebracht. Dann kichert er. "Nichts? Geh, was soll das heißen? Nichts? das kann doch nicht sein!"
Sie zuckt die Achseln. "Sechzig Cent", sagt sie schließlich.
Der Greis kichert wieder. "Sechzig Cent? Ah geh."
Sie zuckt nur wieder die Achseln. Er kichert und kramt sein Portemonnaie heraus, öffnet es umständlich, stiert hinein und fingert ein paar Geldstücke heraus, die er der Frau gibt. Dabei murmelt er: "Klinglinglinglingling, klinglinglingling, klinglinglinglingling."
Sie steckt das Geld ein. Dann erhebt sie sich und geht. Ihr Gesicht ist von geradezu erhabener Unbewegtheit, nur um die Mundwinkel sitzen ein paar kleine feine Resigantionsfältchen.
Er ruft ihr nach: "Gell, du vergißt mich hier nicht."
Sie geht weiter, ohne zu reagieren.
Der alte Herr kramt wieder in seinem Portemonnaie. Er brabbelt nun, außer "klinglingling", noch andere seltsame Lautketten vor sich hin, wie "loiloiloi", "dudeldudeldudel", "dildildildil".
Irgendwann ist er still, guckt mal zum Fenster hinaus, mal zu unserem Tisch hinüber, dann wieder auf seinen Teller.
Nach etwa fünfzehn Minuten kommt seine Frau zurück. Sie setzt sich wieder. Beide schweigen. Der Alte fingert an einer Serviette auf seinem Tablett herum, reicht sie seiner Frau und sagt: "Da, die ist noch sauber, die kannst du einstecken."
Sie nimmt die Serviette und legt sie auf ihrem Tablett ab.
Der Alte nimmt eine zweite Serviette von seinem Tablett auf, faltet sie neu, so daß die Innenseite nun außen liegt, und tupft sich den Mund ab. "Also, ich muß nicht nach München fahren", sagt er, "es ist eine ganz schöne Stadt, sicher, aber ich muß das nicht."
"Gehen wir?" sagt sie. Beide erheben sich und gehen.

Donnerstag, 1. Mai 2008

Ach, ihr armen Frauen

Sie können einem leid tun, die schrillen Frauen, die seit Charlotte Roches Bestseller "Feuchtgebiete" sich gegenseitig übertönen und nicht müde werden zu beteuern, wie selbstbestimmt und frei sie sind, wie schön sie es finden ins "Puff" oder Peepshows zu gehen, wie sehr sie sexuelle Erniedrigung genießen, usw. usf.
Da wuseln sie alle herum, betrachten ihre Genitalien und merken nicht, was sie längst verloren oder nie besessen haben.

Und ich lese ein Gedicht von Theodor Storm, das nicht von der Sexualität, sondern von der Liebe handelt und von der vergehenden Zeit, in der - trotz aller Unwiederbringlichkeit - die Liebe Bestand hat:

Gedenkst du noch, wenn in der Frühlingsnacht
Aus unserm Kammerfenster wir hernieder
Zum Garten schauten, wo geheimnisvoll
Im Dunkel dufteten Jasmin und Flieder?
Der Sternenhimmel über uns so weit,
Und du so jung; - unmerklich geht die Zeit.

Wie still die Luft! Des Regenpfeifers Schrei
Scholl klar herüber von dem Meeresstrande;
Und über unsrer Bäume Wipfel sahn
Wir schweigend in die dämmerigen Lande.
Nun wird es wieder Frühling um uns her;
Nur eine Heimat haben wir nicht mehr.

Nun horch ich oft, schlaflos in tiefer Nacht,
Ob nicht der Wind zur Rückfahrt möge wehen.
Wer in der Heimat erst sein Haus gebaut,
Der sollte nicht mehr in die Fremde gehen!
Nach drüben ist sein Auge stets gewandt;
Doch eines blieb - wir gehen Hand in Hand.

Mittwoch, 9. April 2008

Unsere Sprache soll arschiger werden!

Schon seit geraumer Weile haben Vorzeige- und andere Intellektuelle, wie Journalisten, Moderatoren, Verlagsleiter und Autoren kein Problem damit, das, was sie sagen wollen, ungeschönt und insbesondere mit Ausdrücken aus der Anal-, Fäkal- und Vulgärsphäre zu formulieren.

Man ist also nicht beleidigt, sondern angepißt; man hat keine Vorahnung, sondern "es im Urin", ein Ekel ist mindestens ein Arschloch - wie überhaupt die Arsch-Metaphern fast unerschöpflich sind: da gibt es Stöcke im Arsch, Leute reißen sich denselben auf oder sitzen auf ihm zu lange, haben Hummeln oder Blei darin, lachen ihn ab, verarschen sich gegenseitig und was der schönen Bilder mehr sind. Das englische "fuck" und "fucking" im Sinn von "Scheiße", das übrigens die Einstellung der angelsächsischen Menschheit zur "schönsten Sache der Welt" in etwas zweifelhaftem Licht erscheinen läßt, ist sozusagen zum täglichen sprachlichen Brot unserer publizistischen und studentischen Elite geworden. Ganz zu schweigen von dem Bestseller der Saison namens "Feuchtgebiete", den eine gewisse Charlotte Roche verfaßt hat und der von Analfissuren, Hämorrhoiden, Genitalien undsoweiter handelt.

Und trotzdem garnieren wir unseren kommunikativen Alltag immer noch mit unverfänglichen Harmlosigkeiten wie "Grüß Gott" bzw. "Guten Tag", "auf Wiedersehen", "guten Appetit", "alles Gute"? Herrschaften, das muß anders werden!

Hier ein paar Vorschläge:

Grüß Gott: Leckdi
Guten Tag: Leckdich
auf Wiedersehen: zieh den Arsch ein
tschüs - besonders elegant ersetzbar durch: schiss
guten Appetit: frohes Fressen
alles Gute: frischen Furz (bzw. - etwas nachdrücklicher -: schönes Scheißen)

Ferner könnte man Sympathieträger, wie kleine Kinder, junge Katzen, hübsche Frauen, Filmstars umbenennen:

Babies: Stinkies
Kleinkinder: Rotzies
Kätzchen: Räudies
hübsche Frauen: Titties
Filmstars: Glotzies.

Die Liste kann beliebig verlängert werden. Ich bitte um zahlreiche Vorschläge, damit wir eine Eingabe an die Akademie für Sprache in Darmstadt und den Deutschen Sprachrat machen können!

Freitag, 28. März 2008

Chinesen, Mondphasen und Kurschatten

Vor kurzem bekam ich ein neues Hüftgelenk. Eine physische Verbesserung, die mir darüber hinaus wesentliche Erkenntnisse bescherte.

So erfuhr ich bei meinen ersten Gehversuchen im Klinikflur vom Ehemann meiner Flurnachbarin, daß diese ihre Reha in Bad Birnbach zu verbringen wünsche: "Da san die Chinesen - die san guat!"

Ferner teilte bei der Gruppengymnastik ein beständig sein operiertes Bein hin und herschwenkender Patient den anderen mit: "Ich brauch keine Reha, ich hab schon 'nen Kurschatten." Wild zum Fitsein war er entschlossen, dieser Senior, und so schwenkte und schwenkte er sein Bein, und gleich wieder arbeiten wollte er, gleich wieder Autofahren, kurzum: gleich wieder alles tun, was man auch sonst so tut. Verbote? Schonfrist? "Schmarrn! Nur wenn's an Sinn macht!"

Bemerkenswert war auch die geradezu wundersame krückenfreie Fitness eines stets lächelnden Reha-Patienten und Kiosk-Besitzers, der mit seinem Chirurgen "befreundet" war - "wir feiern unsern Geburtstag zsamm" - und der sich seinen OP-Termin mit Bedacht nach den "Mondphasen" gewählt hatte. Wenn man die nämlich nicht beachtet, kann man bei Arztbesuchen böse Überraschungen erleben! Das hatte der Kioskbesitzer am eigenen Leib erfahren, als er sich trotz der eindringlichen Warnung eines befreundeten Mondphasenexperten einer Zahnextraktion unterzog; das ging und ging nicht vorwärts, und zwar warum? Weil es "so blutete". Exakt das Problem, das der Mondphasenfreund vorausgesagt hatte!! Jawoll! Und deshalb hatte der Kioskbesitzer bei der Hüft-OP den günstigsten Mondphasen-OP-Termin genau berechnet. "Ja mei - dös haut einfach hi, schauns, i brauch koa Krückn!"

Weniger glücklich war die Physiotherapeutin, die ihm, der noch stark humpelte, das krückenfreie Gehen eigentlich untersagt hatte; aber was soll's - die Mondphasen waren halt stärker...


P.S. Ansonsten - und ganz ohne Ironie: viele nette und wenige nicht so nette Menschen in der Reha-Klinik - tapfere, optimistische, ängstliche, bekümmerte - , kluge, sympathische Ärzte und Therapeuten, und viel Zeit für Bücher, Bilder, Gespräche und Musik.

Donnerstag, 10. Januar 2008

Aus- und Einblicke

Ein neues Jahr hat angefangen, das alte sich verabschiedet. Wie schön ist es da, angesichts des steten Weiterschreitens der Zeit, des "Panta rhei" der alten Griechen, sich der Dinge zu versichern, die Bestand haben.

So freuen wir uns jeden Tag, wenn wir nach Hause kommen, darüber, daß sich uns auf dem an den Hauseingang grenzenden Balkon der Nachbarn der gleiche Ausblick wie im letzten Jahr bietet.

Das heißt, es ist nicht jeden Tag der gleiche Ausblick: mal ergötzt das Auge eine matt orangefarbene Anorakjacke, dann wieder sind es weinrote Strickjacken und graugrüne Damenhosen, dann wiederum baumelt, wie auf dem obigen Foto, der Businessanzug des Nachbarn vor unseren Augen. Insgesamt ist aber eine beruhigende Konstanz aushängender Bekleidungsware zu verzeichnen, m.a.W., es hängt eigentlich immer was am Haken, wobei der Bekleidungsstil gediegen konservativ und frei von modischen Allüren ist.

Wir haben auf unserem gleichfalls an den Hauseingang grenzenden Balkon bislang noch keinen Kleiderhaken angebracht. Es gibt bei uns bei bestem Willen nichts auszulüften, und wenn, so erledigen wir dies schamhaft und diskret auf unserer Gartenterrasse. Doch wir fragen uns, ob dies im Sinn eines guten nachbarschaftlichen Zusammenlebens auch im neuen Jahr zu verantworten ist. Wäre es nicht taktvoller und solidarischer, auch unsere Garderobe auf dem Vorderbalkon auszustellen? Damit sich die Kleidungsstücke unserer Nachbarn nicht so isoliert dem Besucher darbieten? Und die zahllosen Gesprächsthemen, die sich daraus ergeben würden! Endlich wüßte man, worüber man, außer übers Wetter und das Kind der Nachbarn, mit ihnen reden könnte! Über das Rauchverbot, über Wohn-Duftsprays, über Geruchshemmer von Schlecker, über Duftsäckchen für den Wäschetrockner...
Andererseits könnte daraus ein unguter modischer Wettbewerb entstehen, oder gar ein subtiler Wettstreit, wer die meisten verrauchten Sachen und demzufolge das interessantere gesellschaftliche Leben vorzuweisen hat.

Ein ähnliches Problem stellen unsere Schuhe dar.

Die Nachbarn ziehen ihre Schuhe vor der Wohnungstür aus und lassen sie dort auf einer Fußmatte. Wir entledigen uns unserer Schuhe in unserer Wohnung. Was mag unsere Nachbarin wohl von uns denken? Daß wir Schweinigel sind, die den Straßendreck in die Wohnung schleppen? Zweifellos. Zumal wir ja auch unsere Kleidung nicht auslüften.

Tja, es gibt noch viel zu tun und zu bedenken im neuen Jahr.

Packen wir's an.