Montag, 7. Januar 2013

Suhrkamp – Geist und Ungeist



Seit Wochen erregen sich bekannte und unbekannte Suhrkamp-Autoren über den Niedergang ihres Verlags, der seit der durch ein Gerichtsurteil angeordneten Absetzung der Geschäftsführerin Ulla Unseld-Berkewicz möglicherweise droht. In hyperbolischen Lobgesängen wird die Bedeutung dieses Verlags zu einem bombastischen Heiligtum aufgebläht, das unverzichtbar für die intellektuelle Kultur Deutschlands sei. Lautstark und einhellig tönt es überall: „Kein Suhrkamp mehr? Armes Deutschland!!!“ Dass es auch andere bedeutende Verlage in diesem Land gegeben hat und immer noch gibt, spielt offenbar keine Rolle für die Wutautoren. Keine Rolle auch spielt für sie der faktische Hintergrund des juristischen Urteils. Er wird einfach nicht erwähnt. Anscheinend glauben die wackeren Suhrkamp-Kämpfer, dass sie durch Schweigen diese Fakten aus der Welt schaffen können.
Die juristisch relevanten Fakten aber sind keine Kleinigkeit, und die Richter des Berliner Landgerichts, die anhand dieser Fakten über die Klage des Mindergesellschafters Barlach zu entscheiden hatten, sind mit Sicherheit keine geistfeindlichen Ignoranten, die durch Neid oder Häme zu einem missgünstigen Urteil getrieben wurden. Es sind knallharte Fakten, und sie werfen auf die Kompetenz von Frau Unseld-Berkewicz als Geschäftsführerin kein gutes Licht.
Wenn die Geschäftsführerin eines Unternehmens einen Teil ihrer  privaten Räumlichkeiten für Veranstaltungen des Unternehmens zur Verfügung stellt, so ist dies ein normaler und nicht zu beanstandender Vorgang. Wenn sie jedoch hinter dem Rücken des Mitgesellschafters ihrem Unternehmen für die Nutzung der Räumlichkeiten eine beträchtliche Monatsmiete in Höhe von 6000 Euro abknöpft, so hat die Angelegenheit ein Geschmäckle, man könnte auch sagen, sie stinkt. Um nichts anderes ging es in dem Gerichtsverfahren, und das Urteil, das die Geschäftsführerin und die beiden weiteren Geschäftsführer zur Rückzahlung der Mieteinnahmen zwingt, ist keineswegs skandalös.
Ob die Rechtsanwälte des Verlags mit ihrer Berufung oder die Geschäftsführung mit ihren Bemühungen um einen Mediator Erfolg haben werden, ist sehr fraglich, und ein Ende der Suhrkamp-Verlags ist in greifbare Nähe gerückt.
Und ist das jetzt alles ganz furchtbar traurig? Aber ja, wenn man bedenkt, dass dadurch auch solche Geistesgrößen wie Dietmar Dath (den Lesern der F.A.Z. als Verfasser unverständlicher Rezensionen und erfolgloser Sciencefiction-Romane bekannt), oder der Suhrkamp-Autor George Steiner ihre Verlagsheimat verlieren könnten. Urteilen Sie selbst, lieber Leser, und lassen Sie sich George Steiners Arie zum Thema, die er in seiner maßlosen Bescheidenheit der F.A.S. vom 6.1.2013 zur Verfügung stellte, auf der Zunge zergehen:

Seit mich Ulla Berkéwicz im Juli 2003 nach vielen Jahren wieder ins alte Verlegerhaus in der Frankfurter Klettenbergstraße einlud  – ich schrieb ihr damals ins Gästebuch: „In diesem Haus jeder Erinnerung an die Zukunft“ –und mich in der Folge wieder zurückholte in den Kreis der großen Geister des Suhrkamp-Verlages und zwei meiner Bücher, „Warum Denken traurig macht“ und „Gedanken dichten“, zu Bestsellern machte, beobachte ich die Entwicklung des Verlages […] mit großer Freude […] . Hier ist, dem Ungeist unserer Zeit entgegen, der wichtigste Verlag Deutschlands […] erfolgreich in die Zukunft geführt worden. Suhrkamp culture today ist ein geistiges Gebäude, das nicht nur seine Autoren und die Feuilletons, sondern auch die Gerichte, ja die Politik zu schützen haben.

So soll es sein. Justiz und Politik dürfen endlich einmal etwas Sinnvolles tun und die Suhrkamp-Culture samt ihren großen Geistern und exquisiten Tiefsinnigkeiten im Gästebuch vor dem Untergang bewahren.