„Wenn ein Kopf und ein Buch
zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das denn allemal im Buche?“
(Georg Christoph Lichtenberg)
Ich habe wiederholt in meinem Blog zur
Pränataldiagnostik, zum Lebensrecht Behinderter, zur Abtreibung und
zur Präimplantationsdiagnostik (PID) Stellung genommen. Allen, die
an diesem Themenkreis interessiert sind, möchte ich ein kleines Buch
empfehlen, auf das ich durch eine extrem negative Rezension in der
F.A.Z. aufmerksam geworden war:
Giovanni Maio:
„Abschied von der freudigen Erwartung. Werdende Eltern unter dem
wachsenden Druck der vorgeburtlichen Diagnostik“ (Edition
Sonderwege bei Manuscriptum).
Die Rezension von Melanie Mühl
wurde in der F.A.Z. vom 29.11.2013 unter dem Titel "Kein Recht aufs Kind? PID und die Folgen: Giovanni Maios Traktat" veröffentlicht; sie ist im Archiv dieser
Zeitung nicht abrufbar.
Mir erschienen die angeblich „abstrusen
Bemerkungen“ des Autors Giovanni Maio, die in der FAZ-Rezension als
Belege für die Unerträglichkeit von Maios „Traktat“ angeführt
wurden, keineswegs als abstrus, sondern als klug und nachdenkenswert,
und so kaufte ich das kleine Bändchen und las es vor wenigen Tagen.
Mein erster Eindruck wurde bei der
Lektüre aufs Schönste bestätigt: Das Buch des Medizinethikers
Giovanni Maio ist eine brillante Auseinandersetzung mit dem oben
genannten Themenkreis und in seiner glasklaren Sprache, der
konsistenten, logischen Argumentation und der intelligenten
Einbeziehung aller humanen Aspekte der jeweils behandelten Thematik
absolut überzeugend.
Dass die FAZ-Rezensentin in kindischer
Manier dieses Buch am liebsten „in den Papierkorb“ werfen würde,
liegt möglicherweise daran, dass sie spürt, dass sie ihre eigenen
Auffassungen zu PID, Abtreibung und künstlichen Befruchtung aufgrund
von Maios Ausführungen eigentlich komplett revidieren müsste –
und das wäre dann doch sehr, sehr unbequem.
So regt sie sich lieber in
unqualifizierter Weise auf und unterstellt beispielsweise dem Autor,
dass er die „künstliche Befruchtung … als frankensteinhafte,
jeglichen Gefühls beraubte Herstellungsmethode“ beschreiben würde.
Abgesehen davon, dass keine Herstellungsmethode der Welt Gefühle zu
haben vermag und somit dieser auch nicht beraubt werden kann, ist die
wirre Polemik der Rezensentin wohl nur auf dem Boden einer kompletten
philosophischen und ethischen Ahnungslosigkeit möglich. Frau Mühl
weiß offensichtlich nicht, dass man Grundsatzfragen nicht mit
Emotionen und dem Rekurs auf „tragische Einzelschicksale“ lösen
kann.
Maio tut in dem besagten (in meinen
Augen besonders brillanten) Kapitel über die Reproduktionsmedizin
nichts anderes, als deren Fragwürdigkeit mit philosophischer
Schärfe zu durchleuchten und vom Aspekt der „Logik des
Herstellens“ her einer fundierten Kritik zu unterziehen, indem er
folgende fünf Teilaspekte abhandelt: 1. Herstellen heißt
Beherrschen, 2. Herstellen heißt Denken in Zweck-Mittel-Relationen,
3. Herstellen heißt Festlegen auf das Resultat, 4. Herstellen heißt
eine Rücknahmepflicht eingehen, 5. Herstellen heißt Verdinglichen.
Ich erlaube mir, aus dem letztgenannten
Abschnitt zu zitieren:
„Wenn wir davon ausgehen, dass in
der Reproduktionsmedizin nicht der Zeugungsgedanke, sondern eher der
Herstellungsgedanke vorherrschend ist, dann haben wir damit implizit
bereits akzeptiert, dass das Produkt des Herstellens nicht etwas
Unverfügbares ist, sondern als Produkt wird es zu einer verfügbaren
Sache gemacht. Es gibt im Produktionsprozess einen Produzenten Mensch
und ein Produkt Mensch und eine Beziehung der Herrschaft des
Produzenten über das Produkt, und zwar einer Herrschaft, die al eine
totale Verfügungsherrschaft bezeichnet werden muss. Das ist nur
möglich, weil dem produzieren selbst schon eine Tendenz zur
Verdinglichung inhärent ist. Das Produkt wird zur bloßen Sache, zum
Objekt der technischen Berechnung. Das, was vermeintlich hergestellt
wird, verliert geradezu automatisch seinen inneren Wert und wird
durch die gedankliche Überformung des Herstellungsgedankens zu einer
Sache mit einem bloß instrumentellen Wert. Das Produkt menschliches
Leben steht auf diese Weise dem Menschen sogar wörtlich zur
Verfügung, zur Verfügung in dem Sinne, dass es sowohl optimiert als
auch ausgemustert werden darf, weil es im Kontext des Produzierens
nichts gibt, was Staunen oder gar Ehrfurcht ermöglichen könnte. Die
Achtung vor dem Leben wird ersetzt durch die Qualitätsprüfung. Und
dies ist nur möglich, weil das Leben selbst durch den
Produktionszusammenhang zur Sache erklärt worden ist.“
Klarer und überzeugender kann man die
Fragwürdigkeit der künstlichen Befruchtung nicht darstellen. Ebenso
klar und überzeugend sind alle anderen Kapitel, und es wäre
wunderbar (wird aber wohl nie passieren), wenn ein solches Buch zum
Beispiel zur Pflichtlektüre im Ethikunterricht erklärt oder
wenigstens jedem Politiker auf den Schreibtisch gelegt würde, der an
der Gesetzgebung zur PID mitgewirkt hat.
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