Montag, 7. April 2014

Alles paletti mit der Reproduktionsmedizin

Mein letzter Post beschäftigte sich aus Anlass einer Rezension in der F.A.Z. mit der Thematik der pränatalen Diagnostik, die von dem Verfasser des rezensierten Buches, Giovanni Maio, mit bewundernswerter Klarheit, Umsicht und Gründlichkeit diskutiert wird.

In diesem Buch und in weiteren Publikationen setzt sich Maio auch kritisch mit der Reproduktionsmedizin auseinander. Solche  fundierte Kritik von medizinethischer Seite scheint jedoch in einer der neuesten Publikationen zu diesem Thema – dem Buch „Kinder machen“ von Andreas Bernard –überhaupt nicht reflektiert worden zu sein, wie zwei Rezensionen (in der F.A.Z. von 28.03.2014 und der F.A.S. vom 30.03.2014) nahelegen.

Während die erste, relativ knappe Rezension von Martina Lenzen-Schulte noch verhalten kritisch ist, überschüttet Nils Minkmar  in der Sonntagszeitung der Frankfurter Allgemeinen (30.03.2014) dasselbe Buch auf einer ganzen großen Zeitungsseite mit einem überschwänglichen Loblied, und zwar unter dem pathetischen, an eine Sonntagspredigt erinnernden Titel „Habt keine Angst!“

Wovor sollen wir keine Angst haben, fragt sich der Leser zunächst, bis ihm allmählich klar wird, dass er keine Angst vor den neuen Methoden der Kinderherstellung (wie der sogenannten künstlichen Befruchtung, der Leihmutterschaft, der Insemination durch anonyme Samenspender etc.) haben soll. Denn die schöne neue Welt, in der die Zeugung von der Sexualität entkoppelt und zum technischen Herstellungsprozess wird, an dessen Ende das Produkt Kind steht, ist laut Bernard und Minkmar von ungemein heiteren und fröhlichen Menschen besiedelt. Und es wird noch besser: Die neuen familiären Gruppierungen, die mit Hilfe der Reproduktionstechnik entstehen, bedeuten nicht weniger als die Rettung des Konzepts Familie; „wer sie (die Familie) erhalten will, muss sie radikal verändern“, verkündet Nils Minkmar im Untertitel seines Artikels. Mit anderen Worten: Die Familie kann nur erhalten werden, wenn sie sich von der traditionellen Form der genetischen Verwandtschaft verabschiedet und  die neuen Kinderherstellungsmethoden bereitwillig umarmt.

Was Nils Minkmar, bzw. Andreas Bernard als Argumente für diese steile These vorlegen, hält einer genauen Betrachtung nicht stand. Das fängt schon bei der einleitenden Anekdote an, in der eine enge Vater-Sohn-Beziehung zwischen einem „Comedian“ und seinem Vater als ausschließlich auf der „emotionalen Kreativität des Austauschs“ basierend beschrieben wird (der Sohn hatte seine Gags nur verwendet, wenn der Vater über sie lachte). Nur dieser Austausch,  nicht die „Blutsverwandtschaft“ ließ den Sohn beim Tod des Vaters trauern, behauptet Nils Minkmar. Woher er dies so genau weiß, verrät er dem Leser allerdings nicht. Offenbar kommt ihm erst gar nicht der Gedanke, dass die „Blutsverwandtschaft“ und die darauf beruhende Vater-/Sohnesliebe immerhin auch ein fabelhafter Nährboden für den engen  kreativen Austausch sein könnte, wobei außerdem zu fragen wäre, ob sich die Trauer des Sohnes nur auf den funktionalen Nutzen des Vaters als Gag-Tester bezogen hat oder ob es sich doch auch um eine grundsätzlichere, nicht an „kreativem Austausch“ und ähnlichen sozialen Handlungen festzumachende Trauer um den eigenen Vater gehandelt hat, dem sich der Sohn nicht nur psychisch, sondern auch physisch verwandt wusste.

In diesem Stil geht es weiter - oberflächliche Anekdoten reihen sich an unerlaubte Kurzschlüsse aus nur halb oder gar nicht verstandenen historischen, literarischen und theologischen Quellen. Die ethischen Dimensionen der technischen Herstellung von menschlichen Föten werden  erst gar nicht in den Blick genommen. So wird auch nicht diskutiert, dass mit der technischen Produzierbarkeit menschlichen Lebens dieses zum Produkt mit Warencharakter wird, dessen Eigenschaften der Hersteller nach den Wünschen des Käufers festlegt und das der Käufer bei fehlerhafter Herstellung oder nichtgewünschten Eigenschaften ablehnen kann. Es ist eben keineswegs nur ein Lifestyle-Problem, wenn die Entstehung eines neuen Menschen ökonomisiert wird. (Parallel damit zu sehen ist natürlich auch die Ablehnung „fehlerhafter“ Föten durch die Abtreibung und generell die seit Jahrzehnten geübte Abtreibungspraxis, die werdenden Eltern ermöglicht, ein Kind, das nicht in ihren Lebensplan, sprich in ihre Ökonomie, passt, töten zu lassen.)

Wie steht es nun mit der zentralen Argumentation des Autors, nämlich dem Verweis darauf, dass „Familie“ vor ihrer Verengung auf die bürgerliche, genetisch primär untereinander verwandte Kleinfamilie ein weitgefasstes Konzept mit angeblich „anderen“ Entstehungskomponenten als genetischen gewesen sei? Als Argument für die technische Produzierbarkeit der Familie ist dieser Rekurs auf historische Familienformen ebenso  ungeeignet wie die einleitende Anekdote von der ausschließlich kreativ-sozialen Vater-Sohn-Beziehung. Denn auch diese größeren Familiengruppierungen, die durch Scheidung, Wiederverheiratung, Aufnahme elternloser Kinder etc. entstanden, waren, ebenso wie die Kleinfamilie, durch primäre verwandtschaftliche Beziehungen geprägt, in deren Zentrum die Zeugung von Kindern durch Mann und Frau stand. Und dass die Abwehr gegenüber dem Fremden erst ein Merkmal der bürgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts gewesen sein soll, ist schlicht falsch; sie war und ist eine notwendige Bedingung bei der Herausbildung von Familien, Großfamilien, Sippen und Gruppen (siehe z.B. Irenäus Eibl-Eibesfeldts Klassiker zur Humanethologie, „Die Biologie des menschlichen Verhaltens“).

Die Beispiele, mit denen Bernard seine Argumentation hier untermauert, sind schräg oder auch irrelevant: Dass die Brüder Grimm die „böse Mutter“ in einer späteren Auflage in eine „Stiefmutter“ verwandelten, ist kein Beweis für die der bürgerlichen Kleinfamilie unterstellte Abwehr gegenüber dem Fremden, das als Bedrohung empfunden wird; das Motiv für diese Änderung ist vielmehr in psychologischer Rücksichtnahme auf die Zielgruppe der „Kinder- und Hausmärchen“ zu sehen, nämlich die Kinder.

Nicht nur schräg, sondern geradezu lächerlich ist Bernards Rekurs auf die Bibel, die angeblich mit der „heiligen Familie“ eine „anders“ zusammengesetzte Familie als vorbildlich hinstelle. Die fromme Legende der Jungfrauengeburt und der Zeugung Christi durch den Heiligen Geist ist die christliche Umformung des viel älteren Mythos der Menschwerdung eines Gottes; wenn die katholische Kirche aus diesem mythischen   Kern eine „heilige Familie“ fabrizierte, so ist die Verehrung dieses erbaulichen Märchens mit Sicherheit nicht als Bekenntnis zu einer nicht genetischen oder gar durch Reproduktionsmedizin entstandenen Familiengruppierung zu sehen.

Bei den Beschreibungen all der glücklichen Retortenfamilien und der netten, auf dem einträglichen Reproduktionsmarkt beschäftigten Menschen, die Bernard weltweit besucht hat, zeigt sich vor allem eines: die Unzulänglichkeit einer rein journalistisch geprägten Darstellungsweise, die auf eine methodische Grundlagendiskussion verzichtet und per se zur Affirmation all dessen tendiert, was der Autor sieht oder auch sehen will. Der Tenor dieser Erzählungen von all den fröhlichen Menschen, die ihr „spießiges“ Familienglück genießen, dem „fröhlich-schrillen Merchandising der größten kalifornischen Samenbank“, dem „fröhlichen“ Großvater einer angeblich besonders musikalischen Enkelin, die durch künstliche Befruchtung nach einem Konzert entstand, ist oberflächlich, wenn nicht läppisch. Man fühlt sich an die düstere Vision Aldous Huxleys in „Brave New World“ erinnert, in der ja auch die Menschen beständig und dauerhaft fröhlich  sind.

Ergo: Das Fazit von Nils Minkmar im Subtitel zu seiner Rezension, dass nämlich die Familie „radikal verändert“ werden müsse, wenn sie erhalten bleiben soll, ist ebenso falsch und unhaltbar wie der gesamte Artikel und wie das von ihm bejubelte Buch seines Münchner Kollegen Andreas Bernard (Redakteur der SZ).

Es ist schade, dass Martina Lenzen ihre kritischen Einwände gegen Bernards Buch nicht genauer formuliert, sondern nur recht vage auf die „massive Kritik  von Ärzten“ an der künstlichen Zeugung von Mehrlingen verweist und zu der seit Jahren existierenden medizinethisch-philosophischen Diskussion der  Reproduktionsmedizin nicht mehr zu sagen hat, als dass in Bernards Buch der Eindruck dominiere, „dass die Kritik an der Reproduktionsmedizin vornehmlich von Weltanschauungen“ herrühre.


Offenbar haben weder Andreas Bernard noch Nils Minkmar sich die Mühe gemacht, Autoren wie Giovanni Maio – der keineswegs der einzige fundierte Kritiker der Reproduktionsmedizin ist – zur Kenntnis zu nehmen. Es ist ja auch viel bequemer und Erfolg versprechender, den  allgemeinen Trend zur Leugnung aller anthropologischen Konstanten und biologischen Fakten mitzumachen, der den Frauen das Muttersein, den Kindern die Kindheit und den Familien die Gemeinsamkeit stiehlt. 

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