Vor wenigen Wochen habe ich in diesem Blog zur Debatte um
das Betreuungsgeld und zur Problematik früher „Fremdbetreuung“ Stellung
genommen. Diese Diskussion nimmt kein
Ende, sondern zeitigt im Gegenteil immer groteskere Formen.
Nachdem Herr Trittin und andere Volksvertreter im Bundestag
unwidersprochen ihre Verachtung für Mütter demonstrieren durften, die nach der
Geburt ihr kleines Kind selbst betreuen, statt sich umgehend wieder in den Arbeitsprozess zurückzubegeben,
hat sich jüngst ein veritabler Experte, nämlich der Vizepräsident der Deutschen
Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Professor Jörg M. Fegert, zu
Wort gemeldet (FAZ vom 17.11.2012).
Die eine ganze Zeitungsseite einnehmenden Erörterungen des
Professors tragen den listig doppeldeutigen Titel „Qualität – in jeder
Beziehung“.
Schon die eingangs aufgestellte These, dass diese Debatte
nicht ohne die Geschichte der deutschen Teilung verstanden werden könne, ist
nicht überzeugend. Die Forderungen politischer und anderer Meinungsträger nach
flächendeckender und frühzeitiger Fremdbetreuung in Krippen und Kitas, die zur
Zeit weitgehend die Debatte bestimmen, sind kein Echo auf die seinerzeitige
kollektive Kinderfremdbetreuung der DDR.
Sie sind vielmehr in der Dominanz ökonomischer Interessen zu
suchen, für die es nicht tolerierbar ist, dass mit der Gruppe der jungen
Mütter, sofern diese eine längere
Kinderpause machen, ein relativ hoher Prozentsatz der arbeitsfähigen Bevölkerung
dem geldwerten Arbeitsprozess entzogen ist.
Fegert geht erst gar nicht so weit, diese Grundlage der
Debatte in den Blick zu nehmen, geschweige ihre Berechtigung in Zweifel zu
ziehen. Zwar konzediert er immer wieder, dass die für die weitere Entwicklung
eines Kindes eminent wichtige „Bindungssicherheit“ nur durch frühe und stabile
Bindung des kleinen Kindes an eine oder wenige Bezugspersonen entsteht, er
zieht aber aus dieser Erkenntnis nicht die Konsequenz, dass für Kleinstkinder
die beste und natürlichste Form der Kinderbetreuung eben nicht Fremdbetreuung,
sondern die elterliche Zuwendung und Fürsorge wäre. Der gesamte Artikel krankt
an dem Widerspruch zwischen dieser
Erkenntnis und der von Fegert
nicht grundsätzlich hinterfragten Forderung nach Fremdbetreuung.
Dieser Widerspruch wird nicht gelöst. Fegert nimmt
stattdessen Zuflucht zu der mit bombastischem technokratischem Vokabular
vorgetragenen Forderung nach umfassender Aufrüstung und „Qualitätssicherung“
der Krippen und Kitas (in Michael Endes „Momo“, der klarsichtigen Vision einer
technokratischen Welt, heißen diese „pädagogisch wertvollen“ Anstalten
„Kinderdepots“). Da ist die Rede von „qualitativ hochwertigen
Beziehungsangeboten“, von „grundlegenden Qualitätsparametern“, von der
„Qualität des kognitiv und sozial entwicklungsanregenden Angebots und des
kleinkindpädagogischen Gesamtkonzepts“, und der Notwendigkeit der
„Qualitätssicherung“, die durch „Qualitätsmanagement“, Prüfung der
„Prozessqualität“ und der „Ergebnisqualität“ erreichbar sei. Fegert orientiert
sich dabei an Amerika, wo der Ausbau von Kleinkindbetreuung wissenschaflich
begleitet worden ist.
(Nebenbei bemerkt, ist seine
idealisierende Deutung des Begriffs „child care“ schlicht und einfach falsch;
in diesem Begriff ist nicht etwa das „fürsorgliche Beziehungselement“
enthalten, das „für gelingende Betreuung …unabdingbar ist“, vielmehr wird der
Begriff „care“ im Englischen geradezu inflationär für alles und jedes benutzt,
das gepflegt werden soll (man denke an „skin care“). Ob die wissenschaftliche
Begleitung des institutionellen „Child Care“-Ausbaus in den USA das Heil
gebracht hat oder bringen wird, verrät uns Fegert übrigens nicht.)
Abgesehen davon, dass eine solch
wundersame Verbesserung der frühkindlichen Fremdbetreuung, wie sie sich Fegert
von der wissenschaftlichen Qualitätskontrolle erhofft, vollkommen utopisch
wäre, ist sein Vokabular verräterisch. Es verwundert nicht weiter, dass ein
Autor, der eine solche Begrifflichkeit verwendet, die biologische Grundlage der
Mutter-Kind-Beziehung als „nicht primär“ bezeichnet, ohne dass er merkt, dass
seine Begründung – der Verweis auf die historischen Formen menschlichen
Zusammenlebens in Gruppen oder Großfamilien - kein biologisches, sondern ein
soziologisches Argument ist. Der Mensch ist biologisch gesehen ein Säugetier,
und in dieser Klasse ist die Mutter-Kind-Bindung im Prozess des Säugens sowohl
biologisch fundiert wie lebensichernd. Dass diese Bindung auch in den oben
genannten Großfamilien- oder sonstigen Gruppierungen als die primäre zu sehen
ist, dürfte evident sein, ebenso evident wie die Tatsache, dass sie nicht durch
noch so hochwertige Bildungs-, Bindungs- und entwicklungsanregende „Angebote“
ersetzt werden kann.
Wenn es als Ausnahme von dieser biologischen Regel hin und
wieder Mütter gibt (und die gibt es auch im Tierreich), die ihrem natürlichen
Mutterinstinkt nicht nachkommen können oder wollen, so setzt dies die Regel
nicht als solche außer Kraft.
Im übrigen muss, sofern man die positive Lebensform der
Großfamilie als rechtfertigendes Argument für Kitas und Krippen ins Feld führt,
bedacht werden, dass eine Großfamilie, mit den überwiegend erwachsenen
Bezugspersonen und im Alter differenzierten, wenigen weiteren Kindern, für ein
kleines Kind ein Umfeld ist, das sich fundamental von einer Kita unterscheidet,
in der wenige Erwachsene eine große Anzahl von gleichaltrigen Kleinkindern
betreuen.
Es ist der Grundfehler sozialistisch geprägten Denkens, die
negative (und bedauernswerte) Ausnahme zur
normierenden Kraft oder gar Legitimation für einschneidende Eingriffe in
bewährte soziale Systeme zu erheben – hier also für an die Substanz der Familie
und der Mutter-Kind-Beziehung rührende Eingriffe in das System Familie auf der
Basis einer inzwischen offenkundigen Abwertung der Familie und der Rolle der
Mutter.
Herr Trittin und andere, die lauthals die Abschaffung
der Familie betreiben, sollten zur
Kenntnis nehmen, dass beispielsweise in Israel die Experimente der
nichtfamiliären Erziehung im Kibbuz längst wieder aufgegeben wurden und selbst die Sowjetunion wieder zur
traditionellen Form der Kinderaufzucht in der Familie zurückgekehrt ist.
Was not täte: Ein Umdenken in der Bewertung der
Mutter-Kind-Beziehung und der Leistung von Müttern sowie die entsprechende Unterstützung junger Mütter
im häuslichen Umfeld und die Entwicklung
von Arbeits- und Fortbildungsmodellen, die den Frauen eine problemlose Rückkehr
in ihren Beruf auch nach einer längeren Kinderpause ermöglichen würden. Und was
noch wesentlicher wäre: wir müßten zu einer Kinderfreundlichkeit zurückfinden,
wie sie früher immer selbstverständlich
war. Eine Gesellschaft, in der seit Legalisierung der Abtreibung über fünf
Millionen Kinder abgetrieben worden sind, wird auch weiterhin die Rechte der
Kinder zugunsten ökonomischer Interessen ignorieren.
Kinder sind unsere Zuk,unft, und sie haben, trotz aller „qualitativ hochwertigsten
Beziehungsangebote“ in Kitas und Krippen mit den von Fegert gewünschten
„feinfühligen“ Erziehern ein Recht auf die Bindungssicherheit, die sie durch
die mütterliche Liebe erfahren. Es ist wohl kein Zufall, dass das Wort „Liebe“
in Fegerts Artikel nicht vorkommt.
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