Mein letzter Post beschäftigte sich aus Anlass einer
Rezension in der F.A.Z. mit der Thematik der pränatalen Diagnostik, die von dem
Verfasser des rezensierten Buches, Giovanni Maio, mit bewundernswerter Klarheit,
Umsicht und Gründlichkeit diskutiert wird.
In diesem Buch und in weiteren Publikationen setzt sich Maio
auch kritisch mit der Reproduktionsmedizin auseinander. Solche fundierte Kritik von medizinethischer Seite
scheint jedoch in einer der neuesten Publikationen zu diesem Thema – dem Buch
„Kinder machen“ von Andreas Bernard –überhaupt nicht reflektiert worden zu
sein, wie zwei Rezensionen (in der F.A.Z. von 28.03.2014 und der F.A.S. vom
30.03.2014) nahelegen.
Während die erste, relativ knappe Rezension von Martina
Lenzen-Schulte noch verhalten kritisch ist, überschüttet Nils Minkmar in der Sonntagszeitung der Frankfurter
Allgemeinen (30.03.2014) dasselbe Buch auf einer ganzen großen Zeitungsseite
mit einem überschwänglichen Loblied, und zwar unter dem pathetischen, an eine
Sonntagspredigt erinnernden Titel „Habt keine Angst!“
Wovor sollen wir keine Angst haben, fragt sich der Leser
zunächst, bis ihm allmählich klar wird, dass er keine Angst vor den neuen
Methoden der Kinderherstellung (wie der sogenannten künstlichen Befruchtung,
der Leihmutterschaft, der Insemination durch anonyme Samenspender etc.) haben
soll. Denn die schöne neue Welt, in der die Zeugung von der Sexualität
entkoppelt und zum technischen Herstellungsprozess wird, an dessen Ende das Produkt
Kind steht, ist laut Bernard und Minkmar von ungemein heiteren und fröhlichen
Menschen besiedelt. Und es wird noch besser: Die neuen familiären
Gruppierungen, die mit Hilfe der Reproduktionstechnik entstehen, bedeuten nicht
weniger als die Rettung des Konzepts Familie; „wer sie (die Familie) erhalten
will, muss sie radikal verändern“, verkündet Nils Minkmar im Untertitel seines
Artikels. Mit anderen Worten: Die Familie kann nur erhalten werden, wenn sie
sich von der traditionellen Form der genetischen Verwandtschaft verabschiedet
und die neuen Kinderherstellungsmethoden
bereitwillig umarmt.
Was Nils Minkmar, bzw. Andreas Bernard als Argumente für
diese steile These vorlegen, hält einer genauen Betrachtung nicht stand. Das
fängt schon bei der einleitenden Anekdote an, in der eine enge
Vater-Sohn-Beziehung zwischen einem „Comedian“ und seinem Vater als
ausschließlich auf der „emotionalen Kreativität des Austauschs“ basierend
beschrieben wird (der Sohn hatte seine Gags nur verwendet, wenn der Vater über sie
lachte). Nur dieser Austausch, nicht die
„Blutsverwandtschaft“ ließ den Sohn beim Tod des Vaters trauern, behauptet Nils
Minkmar. Woher er dies so genau weiß, verrät er dem Leser allerdings nicht.
Offenbar kommt ihm erst gar nicht der Gedanke, dass die „Blutsverwandtschaft“
und die darauf beruhende Vater-/Sohnesliebe immerhin auch ein fabelhafter Nährboden für den engen kreativen Austausch sein könnte, wobei
außerdem zu fragen wäre, ob sich die Trauer des Sohnes nur auf den funktionalen
Nutzen des Vaters als Gag-Tester bezogen hat oder ob es sich doch auch um eine
grundsätzlichere, nicht an „kreativem Austausch“ und ähnlichen sozialen
Handlungen festzumachende Trauer um den eigenen Vater gehandelt hat, dem sich
der Sohn nicht nur psychisch, sondern auch physisch verwandt wusste.
In diesem Stil geht es weiter - oberflächliche Anekdoten reihen
sich an unerlaubte Kurzschlüsse aus nur halb oder gar nicht verstandenen
historischen, literarischen und theologischen Quellen. Die ethischen
Dimensionen der technischen Herstellung von menschlichen Föten werden erst gar nicht in den Blick genommen. So wird
auch nicht diskutiert, dass mit der technischen Produzierbarkeit menschlichen
Lebens dieses zum Produkt mit Warencharakter wird, dessen Eigenschaften der
Hersteller nach den Wünschen des Käufers festlegt und das der Käufer bei
fehlerhafter Herstellung oder nichtgewünschten Eigenschaften ablehnen kann. Es
ist eben keineswegs nur ein Lifestyle-Problem, wenn die Entstehung eines neuen
Menschen ökonomisiert wird. (Parallel damit zu sehen ist natürlich auch die
Ablehnung „fehlerhafter“ Föten durch die Abtreibung und generell die seit
Jahrzehnten geübte Abtreibungspraxis, die werdenden Eltern ermöglicht, ein
Kind, das nicht in ihren Lebensplan, sprich in ihre Ökonomie, passt, töten zu
lassen.)
Wie steht es nun mit der zentralen Argumentation des Autors,
nämlich dem Verweis darauf, dass „Familie“ vor ihrer Verengung auf die
bürgerliche, genetisch primär untereinander verwandte Kleinfamilie ein
weitgefasstes Konzept mit angeblich „anderen“ Entstehungskomponenten als
genetischen gewesen sei? Als Argument für die technische Produzierbarkeit der
Familie ist dieser Rekurs auf historische Familienformen ebenso ungeeignet wie die einleitende Anekdote von
der ausschließlich kreativ-sozialen Vater-Sohn-Beziehung. Denn auch diese
größeren Familiengruppierungen, die durch Scheidung, Wiederverheiratung,
Aufnahme elternloser Kinder etc. entstanden, waren, ebenso wie die Kleinfamilie,
durch primäre verwandtschaftliche Beziehungen geprägt, in deren Zentrum die
Zeugung von Kindern durch Mann und Frau stand. Und dass die Abwehr gegenüber
dem Fremden erst ein Merkmal der bürgerlichen Familie des 19. Jahrhunderts gewesen
sein soll, ist schlicht falsch; sie war und ist eine notwendige Bedingung bei der
Herausbildung von Familien, Großfamilien, Sippen und Gruppen (siehe z.B.
Irenäus Eibl-Eibesfeldts Klassiker zur Humanethologie, „Die Biologie des
menschlichen Verhaltens“).
Die Beispiele, mit denen Bernard seine Argumentation hier untermauert,
sind schräg oder auch irrelevant: Dass die Brüder Grimm die „böse Mutter“ in
einer späteren Auflage in eine „Stiefmutter“ verwandelten, ist kein Beweis für
die der bürgerlichen Kleinfamilie unterstellte Abwehr gegenüber dem Fremden,
das als Bedrohung empfunden wird; das Motiv für diese Änderung ist vielmehr in
psychologischer Rücksichtnahme auf die Zielgruppe der „Kinder- und Hausmärchen“
zu sehen, nämlich die Kinder.
Nicht nur schräg, sondern geradezu lächerlich ist Bernards
Rekurs auf die Bibel, die angeblich mit der „heiligen Familie“ eine „anders“
zusammengesetzte Familie als vorbildlich hinstelle. Die fromme Legende der
Jungfrauengeburt und der Zeugung Christi durch den Heiligen Geist ist die
christliche Umformung des viel älteren Mythos der Menschwerdung eines Gottes; wenn
die katholische Kirche aus diesem mythischen
Kern eine „heilige Familie“
fabrizierte, so ist die Verehrung dieses erbaulichen Märchens mit Sicherheit
nicht als Bekenntnis zu einer nicht genetischen oder gar durch
Reproduktionsmedizin entstandenen Familiengruppierung zu sehen.
Bei den Beschreibungen all der glücklichen Retortenfamilien
und der netten, auf dem einträglichen Reproduktionsmarkt beschäftigten
Menschen, die Bernard weltweit besucht hat, zeigt sich vor allem eines: die Unzulänglichkeit
einer rein journalistisch geprägten Darstellungsweise, die auf eine methodische
Grundlagendiskussion verzichtet und per se zur Affirmation all dessen tendiert,
was der Autor sieht oder auch sehen will. Der Tenor dieser Erzählungen von all
den fröhlichen Menschen, die ihr „spießiges“ Familienglück genießen, dem
„fröhlich-schrillen Merchandising der größten kalifornischen Samenbank“, dem
„fröhlichen“ Großvater einer angeblich besonders musikalischen Enkelin, die
durch künstliche Befruchtung nach einem Konzert entstand, ist oberflächlich,
wenn nicht läppisch. Man fühlt sich an die düstere Vision Aldous Huxleys in
„Brave New World“ erinnert, in der ja auch die Menschen beständig und dauerhaft
fröhlich sind.
Ergo: Das Fazit von Nils Minkmar im Subtitel zu seiner
Rezension, dass nämlich die Familie „radikal verändert“ werden müsse, wenn sie
erhalten bleiben soll, ist ebenso falsch und unhaltbar wie der gesamte Artikel
und wie das von ihm bejubelte Buch seines Münchner Kollegen Andreas Bernard
(Redakteur der SZ).
Es ist schade, dass Martina Lenzen ihre kritischen Einwände
gegen Bernards Buch nicht genauer formuliert, sondern nur recht vage auf die
„massive Kritik von Ärzten“ an der
künstlichen Zeugung von Mehrlingen verweist und zu der seit Jahren
existierenden medizinethisch-philosophischen Diskussion der Reproduktionsmedizin nicht mehr zu sagen hat,
als dass in Bernards Buch der Eindruck dominiere, „dass die Kritik an der
Reproduktionsmedizin vornehmlich von Weltanschauungen“ herrühre.
Offenbar haben weder Andreas Bernard noch Nils Minkmar sich
die Mühe gemacht, Autoren wie Giovanni Maio – der keineswegs der einzige
fundierte Kritiker der Reproduktionsmedizin ist – zur Kenntnis zu nehmen. Es
ist ja auch viel bequemer und Erfolg versprechender, den allgemeinen Trend zur Leugnung aller
anthropologischen Konstanten und biologischen Fakten mitzumachen, der den
Frauen das Muttersein, den Kindern die Kindheit und den Familien die
Gemeinsamkeit stiehlt.