Donnerstag, 8. März 2012

Raunende Reaktionäre

Gestern stand in der SZ unter dem Titel Zerbrochene Harmonie eine kleine Besprechung zu dem Buch „Dissonanz und Harmonie in Romantik und Moderne“ von Werner Keil (Detmolder Musikwissenschaftler).
Was der Rezensent Michael Stallknecht zusammenfassend berichtet, klingt hochinteressant: Keil entwickelt aus dem Musikbegriff der Romantiker, die "die Musik erstmals zu den Künsten statt, wie seit den antiken Pythagoräern üblich, zu den mathematischen Wissenschaften" zählten, die Theorie, dass durch diesen kategorischen Wechsel Musik einen grundsätzlich anderen Stellenwert bekam; sie sollte nicht mehr "die mathematische Ordnung des Kosmos ausdrücken, sondern Gefühle ausdrücken, das Subjektive ... statt des Überindividuellen, das Vagierende sstatt des Ewigen, das Dissonante statt des Konsonanten. Damit aber verfalle die Musik zunehmend selbst dem Irrationalismus, triumphiere die fortschreitende Emanzipation der Dissonanz (Schönberg) über die noch bei Kepler affirmierte Harmonie der Welt." Vor diesem Hintergrund sieht Keil auch die Beschäftigung vieler Komponisten der beginnenden Moderne mit gnostischen Bewegungen wie der Theosophie als Rückkehr der Mathematik in Form ihrer eigenen Parodie.
Nun beläßt der Rezensent es aber nicht bei seiner Zusammenfassung der interessanten Thesen dieses Buches. Vielmehr stößt er sich ganz offenbar an der kritischen Haltung des Autors gegenüber der klassischen Moderne. Zwar muss er zugestehen, dass das alles „formgeschichtlich …kaum widerlegbar“ sei, aber er unterstellt Keil, dass er im Verlauf seines Buches zunehmend einem „irrationalen und …ziemlich reaktionärem Raunen“ verfalle.
Den Vorwurf der Irrationalität und argumentativen Schwäche müßte der Rezensent sich allerdings selbst machen, da für seine Behauptung des irrationalen Raunens jegliche argumentative Beweisführung fehlt. Nebenbei bemerkt, sind die Begriffe „irrational“ und „Raunen“, ebenso wie die Wörter „dumpf“, „Stammtisch“, „verdruckst“, „schwurbeln“ Totschlagbegriffe aus der Mottenkiste linksliberaler Journalisten, die immer dann geschwungen werden, wenn man keine anderen Argumente parat hat.

So werde ich mir dieses reaktionäre Buch gern kaufen, ebenso wie ein in der Rezension erwähntes Buch von Alex Ross mit dem schönen Titel "The rest is noise", das der Rezensent als befremdlich bezeichnet, weil es die moderne Musik als „zwielichte Angelegenheit“ darzustellen wagt.

Solange die seit Schönberg und Adorno unantastbare musikalische Moderne ein Tabu bleibt und ihre Kritiker pauschal, ohne dass man sich die Mühe einer argumentativen Auseinandersetzung machen würde, als „raunende Reaktionäre“ verunglimpft werden, rechne auch ich mich weiterhin gern zu den reaktionären Raunern (bzw. "Raunerinnen").

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