Dienstag, 28. September 2010

Kommt Kunst von Können?

Aus Anlaß einer Werbeaktion der "Welt" zum 20-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung, bei der der Maler Georg Baselitz eine komplette Ausgabe gestalten soll, brachte die "Wams" ("Welt am Sonntag" vom 26.9.2010) ein Interview mit Baselitz, das auch in gekürzter Form als Film ins Netz gestellt wurde.
In diesem Film sieht man einen grobschlächtigen, sattgesichtigen alten Mann mit den leicht herabgezogenen Mundwinkeln eines Erfolgreichen, der insgeheim denkt "ihr könnt mich mal alle, denn ich bin reich", wie er einen seiner hinlänglich bekannten Adler mit plumpen Federstrichen auf eine Leinwand krakelt, wie er Farbe über eine Ausgabe der "Welt" fließen läßt, und wie er über sich und Deutschland bzw. deutsche Kultur spricht. Es ist bemerkenswert, mit welcher Unverfrorenheit Baselitz, den die "Welt" (und mit ihr die gesamte Kunstszene) für einen "großen Künstler" hält, allem und jedem aufs Haupt schlägt. Da werden Günter Grass und Martin Walser als Deppen charakterisiert, die nur Karriere machen konnten, weil "jeder, der was im Kopf hatte" weg gewesen sei nach dem Krieg, da wird das Regietheater in Bausch und Bogen verdammt, da wird von den Verlagen behauptet, daß sie die deutschen Leser mit "Unlesbarem" quälten. Zur Politik fällt ihm im wesentlichen nur ein, daß er - als Großverdiener, der er ist - die Partei wählt, die Steuererleichterungen verspricht.
Nun gut.
Ein Maler soll nicht reden, sondern malen, und wenn er redet, muß man das nicht unbedingt ernst nehmen. Hauptsache, er macht gute Kunst. Aber ach! Was ist denn gute Kunst, heutzutage? Baselitz, der reich und berühmt geworden ist durch den Trick, daß er seine konventionell frühexpressionistisch hingehauenen Bilder (vergleichbar schlechtem Lovis Corinth, epigonal verflacht) auf den Kopf gestellt hat, definiert seine eigene Kunst als "Schweinerei" - etwas, das keiner brauche und keiner wolle, aber das "vielleicht wichtig" sei. Ferner bezeichnet er seine Kunst als "brutal" und rechtfertigt dies damit, daß Deutschland "brutal" sei. Seine Malaktion für die "Welt", bei der er keinesfalls "illustrieren" wolle, sondern Bilder vorhat, die sich in keiner Weise auf den Text beziehen, bezeichnet er als "Musik": das sei, wie wenn man Musik sichtbar machen wolle.
Da paßt es dann gut, wenn man von Leuten, die heutzutage das Sagen haben bezüglich dessen, was "gute Kunst" sein soll, in einem weiteren Artikel der "Welt", der vor ein paar Wochen erschien, einige interessante Äußerungen findet. Es handelt sich um eine Umfrage bei wichtigen Kunstkennern (Werner Spies, Eduard Beaucamp, Udo Kittelmann, Holger Liebs u.a.m.), die sich zu Günter Grass als Künstler äußern sollten. Das Grass-Bashing, das man da lesen kann, ist in seiner Einstimmigkeit relativ erschreckend und brutal, dabei widersprüchlich. Mal wird Grass fehlende Präzision vorgeworfen, mal wird ihm sein Realismus vorgehalten, der nämlich nicht die "Brüchigkeit" der Gesellschaft wiedergebe. Erhellend sind im übrigen die Nebenbemerkungen über andere zeitgenössische Künstler. Um nur zwei herauszugreifen: Horst Janssen, einer der wenigen wirklich genialen Könner in der deutschen Kunst des späten 20. Jahrhunderts, wird als "einförmiger Richtigzeichner" gegenüber dem als "genialer Illustrator und Künstler" bezeichneten Tomi Ungerer abqualifiziert - eine groteske Verkehrung der wahren Qualität dieser beiden Maler, und Cy Twombly mit seinen vollgekrakelten Riesenbildern ist wieder einmal das ganz große Genie.
Keiner dieser Kunstkenner, die sich tagaus tagein mit dem Kunstschaffen vergangener und heutiger Zeiten beschäftigen, hat auch nur den geringsten Schimmer davon, daß es jemandem, der malen kann, auch einfach Spaß macht, etwas abzubilden, sich in den Gegenstand zeichnend zu versenken, dem Gegenstand durch das verächtlich als "Kläubeln" bezeichnete Heraus-arbeiten seiner Strukturen eine eigene Aura der Dauer zu verleihen. Selbstverständlich muß das Ergebnis solcher Versenkung nicht "gute Kunst" sein - daß Grass, um einem solchen Anspruch gerecht zuwerden, möglicherweise technisch nicht gut genug ist, möglicherweise auch einen uninteressanten Strich hat, das mag ja alles sein. Aber die Häme, die hier über ihn ausgeschüttet wird, hat er nicht verdient.
Wie weit entfernt sind sowohl Baselitz' malerische und verbale Grobheiten als auch die komplette Beliebigkeit maßgeblicher Kunstexpertise von dem, was Kunst eigentlich sein sollte. Welche Lichtjahre liegen zwischen diesem Schlamm und der Definition von Kunst, die Leszek Kolakowski, der große polnische Dichter-Philosoph, in seinem fulminanten Essay "Die Gegenwärtigkeit des Mythos" formuliert hat:
"...Es gibt keine, und sei es die flüchtigste Qualität meines Welterlebens, die in der Kunst nicht als herausfordernde, weil fixierte Namengebung des Seins erstarren könnte. Das Kunstwerk ist allein durch sein Währen grenzenlos parteiisch, sofern es jeweils jede andere Möglichkeit der Seinsbenennung ausschließt. Doch es ist in dieser Intoleranz stets die Hoffnung enthalten, daß mein parteiisches Erleben sich in einen Wert zu verwandeln vermag, den ich in der Bewegung der eigenen Initiative der herkömmlichen Welt entgegenstellen kann. Damit diese Hoffnung wahrhaft in Erscheinung teten kann, muß sich mein Kunstverständnis, und ebenso das Kunstschaffen, auf die mythenbildende Kraft berufen, die ich in mir trage, denn nur dank dieser Kraft nehme ich mir den Mut, die eigene Organisation der Welt als ein aus inkongruenten und zerstrittenen Wertqualitäten zusammengesetzte auszusprechen."
P.S. vom Mittwoch, 29. September
In der heutigen SZ findet sich ein Interview mit der Kuratorin der Documenta 13, Carolyn Christov-Bakargiev, bei dessen Lektüre man froh darüber wird, daß es noch Maler wie Baselitz gibt, die wenigstens malen, auch wenn die Qualität ihrer Bilder diskussionswürdig ist.
Frau Bakargiev strebt nämlich eine "De-Anthropozentrierung" an, da der Mensch nicht mehr wichtig sei; ergo ist auch Kunst nicht mehr wichtig, und wenn man von ihr ablenkt, "tut man der Menschheit etwas Gutes. Oder wenigstens den Pflanzen und Tieren." Da flattern dann noch ein paar modische Begriffe wie "Narration", "Addition sehr intensiver Momente", "konzeptuell" herum, und man pflanzt einen Baum neben eine Skulptur, über den sich dann "Menschen wundern" sollen. Kunst gibt es nicht mehr. Sie ist alles, und damit nichts.

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